Trotz immer vollerer Kassen bleibt es bei „Haubitzen statt Rindfleisch“

Verarmung nach Plan

Reflexartig wie alle Bundesfinanzminister vor ihm wiegelte auch der nun amtierende Christian Lindner (FDP) mit den Worten „Es gibt keinen Anlass für Jubelmeldungen“ ab, als das Durchbrechen der 1-Billion-Euro-Marke für die Steuereinnahmen im Jahre 2026 angekündigt wurde. In den kommenden vier Jahren, so der „Arbeitskreis Steuerschätzung“, sei mit Mehreinnahmen von 220 Milliarden Euro für Bund, Länder und Gemeinden zu rechnen – allein 17 Milliarden mehr für den Bund für dieses Jahr gegenüber den bisherigen Berechnungen, 19 Milliarden für die Länder und 5 Milliarden für die Kommunen.

Die Ankündigung des Geldsegens kam dem Berliner Schatzmeister wohl auch deshalb sichtbar ungelegen, weil sie deutlich macht, wie sehr die Regierungskoalition unter ihren finanziellen Möglichkeiten bleibt, ernsthaft für eine Entlastung der zunehmend unter der Inflation leidenden Bevölkerung zu sorgen. Das „Entlastungspaket“, das Mitte Mai im Bundestag beschlossen wurde, ist eher ein Päckchen. Professor Franz Hechtner von der Universität Erlangen-Nürnberg wies darauf hin, dass in der Spitze eine Familie mit zwei Kindern auf eine Entlastung von gerade mal 900 Euro im Jahr käme, Alleinerziehende mit einem Kind auf weniger als die Hälfte dieser Summe und Ledige ohne Kinder auf maximal 345 Euro. Was ihnen der Bundestag in die eine Tasche füllt, wird ihnen – der Inflation sei dank – über die höheren Mehrwert- und Einkommensteuern, die sie in den kommenden vier Jahren zahlen werden, aus der anderen Tasche herausgeholt.

Um 33 Prozent ist der Milchpreis im Vergleich zum Vorjahr gestiegen, um 70 Prozent der für Getreide und um fast 100 Prozent der für Kartoffeln. Die Menschen, die jetzt von Markenprodukten auf Hausmarken der Discounter umsteigen oder von Rind- auf Schweinefleisch und demnächst von Schweinefleisch auf Kartoffeln, müssen sich vorkommen wie bei einem Wettrennen zwischen Hase und Igel: Wenn sie die „Tagesschau“ ausschalten, die ihnen Entlastungen verkündet hat, sind beim nächsten Einkauf die Preise schon so gestiegen, dass das scheinbar gewonnene Geld schon wieder weg ist, bevor es das eigene Konto erreicht hat. Am stärksten leiden unter diesen Entwicklungen die Ärmsten im Land: Die „Tafeln“ melden einen Ansturm der von den explodierenden Preisen Geplagten und gleichzeitig wachsende Schwierigkeiten, abgelaufene Lebensmittel zu bekommen, um die Hungrigen zu verpflegen.

Das alles ficht diese Regierung der Besserverdienenden nicht an. Sie bleibt unbeirrt auf Wirtschaftskriegskurs gegen Russland. Sie liefert freigiebig Haubitzen in das ukrainisch-russische Kriegsgebiet und beteiligt sich beflissen an den mittlerweile auf fünf Milliarden Euro monatlich auflaufenden Kosten, die die Ukraine von der EU verlangt und bekommt, um ihren Staatsapparat am Laufen zu halten. Auch dort landen die Milliarden, die aus den Geldbörsen der Bürgerinnen und Bürger in Lindners Schatztruhe wandern.

Es könnte noch schlimmer kommen. Denn die so mit europäischen und US-amerikanischen Steuergeldern vollgepumpte Ukraine dankte Mitte Mai ihren europäischen Geldgebern, indem sie den Hahn für das vertragstreu von Russland nach Europa strömende Gas zumindest bei der Sojus-Pipeline zudrehte. Erschreckt mussten die deutschen Wirtschaftskrieger wenige Tage später zur Kenntnis nehmen, dass nicht nur in militärischen, sondern auch in ökonomischen Kriegen nicht nur eine Seite austeilt und die andere einsteckt.

Dieses Land wird auf einen teuren Sommer, einen noch teureren Herbst und einen kalten Winter zugesteuert. Ob es auf Dauer gelingt, das alles allein Wladimir Putin in die Schuhe zu schieben, wird sich zeigen. Diejenigen, die einen Amtseid darauf abgelegt haben, „Schaden vom deutschen Volk zu wenden“, erfüllen ihn gegenwärtig nicht. Sie spielen außen- und rüstungspolitisch sehenden Auges mit dem Feuer und haben einen Wirtschaftskrieg begonnen, der zu einer zunehmenden Verarmung der abhängig Beschäftigten, Studierenden und Rentner führt.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Verarmung nach Plan", UZ vom 20. Mai 2022



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Haus.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit