Zu den Beschlüssen der 9. PV-Tagung und den Reaktionen darauf

Verantwortung wahrgenommen

Von Patrik Köbele, Vorsitzender der DKP

Auf seiner 9. Tagung im Juni fasste der Parteivorstand zwei Beschlüsse zur anhaltenden Parteiauseinandersetzung. Er beschloss den Bezirk Südbayern aufzulösen sowie einen Antrag an den 22. Parteitag, der im März 2018 stattfindet, zur Unvereinbarkeit der Mitgliedschaft in der DKP mit der Mitgliedschaft im sogenannten Kommunistischen Netzwerk. Auf diese Beschlüsse gab es eine Reihe von Reaktionen.

Sie reichen von Protest und Zurückweisung der Beschlüsse, Forderungen, sie zurückzunehmen, bis zu der Forderung an die Vorsitzenden bzw. den gesamten Parteivorstand, zurückzutreten. Auf der anderen Seite gibt es Verständnis, dass der Parteivorstand handeln musste, aber Fragen, ob es die richtigen Maßnahmen zum richtigen Zeitpunkt waren. Schließlich gibt es auch Zustimmung. Wenige GenossInnen traten aufgrund der Beschlüsse aus der Partei aus.

Es gibt auch Fragen, wie es überhaupt so weit kommen konnte, und die Wahrnehmung, dass die Beschlüsse plötzlich und ohne vorherige Diskussion in der Partei herbeigeführt worden seien. Und es gibt große Sorgen um den Erhalt der Partei. Wir haben diese Reaktionen in DKP-Informationen zusammengefasst und an die Bezirke gegeben, sie können auch beim Parteivorstand angefordert werden. Zu einigen aufgeworfenen Punkten möchte ich noch einmal Stellung nehmen:

Was haben wir beschlossen?

Die Auflösung des Bezirks Südbayern bedeutet, dass der Bezirksvorstand und seine Gremien ihre Arbeit beendet haben. Die Gliederungen und die Mitglieder des Bezirks Südbayern sind darüber hinaus von diesem Beschluss nicht betroffen. Das heißt, es wurde kein einziges Mitglied aus der DKP ausgeschlossen oder in seinen Rechten auf Gruppen- oder Kreisebene beschnitten. Mit dem Bezirksvorstand wurde eine Struktur aufgelöst, die sich seit dem 20. Parteitag im Jahr 2013 bewusst und planmäßig der Gemeinsamkeit der DKP entzogen hat. Die Grundgliederungen in Südbayern sind nun direkt an den Parteivorstand angebunden.

Der Beschluss eines Antrages an den 22. Parteitag zur Unvereinbarkeit der Mitgliedschaft in der DKP mit der Mitgliedschaft im sogenannten Kommunistischen Netzwerk hat bis zum 22. Parteitag keine Wirkung. Die Partei hat bis dahin die Möglichkeit, über diese Maßnahme zu diskutieren. Dann werden die Delegierten entscheiden.

Was hat zu diesen Beschlüssen geführt?

Es war die Sorge um den Erhalt der DKP als kommunistische Partei mit ihrem Organisationsprinzip der breiten und offenen Diskussion und des gemeinsamen Handelns, die den Parteivorstand veranlasst hat, diese Beschlüsse zu fassen. Der Parteivorstand hat damit auf das Auseinanderdriften und die Schwächung durch das Aufkündigen des gemeinsamen Handelns und der Beschlussverbindlichkeit reagiert. Er hat eingeschätzt, dass die Auseinandersetzung in der Diskussion nicht mehr zu lösen ist, weil sie organisationspolitisch durch die Bildung von Parallelstrukturen beantwortet wurde.

Der Parteivorstand hatte den Aufbau von Parallelstrukturen mit inhaltlicher Plattform, eigener Öffentlichkeitsarbeit und eigener Disziplin mehrfach als Fraktionierung gekennzeichnet und schließlich seine Verantwortung wahrgenommen, um weiteren Schaden von der Partei abzuwenden. Er hat das spät getan, manche meinen, zu spät.

Bereits der 21. Parteitag hatte die GenossInnen, die das Netzwerk organisieren aufgefordert, das zu unterlassen, und dem Parteivorstand einen eindeutigen Auftrag gegeben. Er sollte bis Ende 2016 eine Bilanz zur Tätigkeit des Netzwerks ziehen und gegebenenfalls handeln. In dem Parteitagsbeschluss heißt es: „Sollte weiterhin bewusst eine Strömung in der Partei organisiert werden, welche sich gegen demokratisch gefasste Beschlüsse (insbesondere des Parteitags) stellt, ist der Parteivorstand aufgefordert, seine Verantwortung wahrzunehmen und diesen für die Arbeit der Partei und für ein einheitliches Handeln schädlichen Zustand zu beenden.“ Der Parteivorstand hat das nicht getan, sondern sich auf mehreren Sitzungen erneut mit der Auseinandersetzung befasst, Gespräche angeboten und geführt. Ziel war es nach Möglichkeiten zu suchen, die Parallelstrukturen auch für die GenossInnen, die sich darin gefunden haben, überflüssig zu machen und ihre Arbeit zurück in die Strukturen der Partei zu holen. Weitere Gespräche und mehr Zeit führten allerdings nicht zu einer Annäherung und zum Nachdenken über die Rückführung, sondern im Gegenteil zu weiteren Schritten der Verfestigung der Parallelstruktur. Stetig und bewusst wurde der Spielraum des Netzwerks ausgeweitet und so versucht, in der Praxis eine Strömungspartei zu etablieren.

Wie ist es so weit gekommen?

Die Auseinandersetzung beginnt und endet nicht mit den Beschlüssen der 9. PV-Tagung. Die Diskussion um Fragen wie die Einschätzung des Imperialismus, den Charakter der Kommunistischen Partei und ihre Strategie ist eine Auseinandersetzung der kommunistischen Weltbewegung und hat an Intensität nach der Konterrevolution und mit unserer schweren Niederlage zugenommen.

Eine Zuspitzung der in der DKP seit langem geführten Diskussionen ergab sich mit der Erarbeitung der „Thesen“ des alten Sekretariats unter Heinz Stehr und Leo Mayer und ihrer Zurückweisung auf dem 19. Parteitag. Die „Thesen“ waren eine Absage an die kommunistische Identität der DKP. Die Partei wies dies mit großer Mehrheit zurück. Allerdings sind sie bis heute Grundlage der Genossinnen und Genossen, die das sogenannte Netzwerk kommunistische Politik organisieren.

Der Zurückweisung der „Thesen“ folgte auf dem 20. Parteitag die Abwahl der Parteiführung, die für dieses Papier stand, und die Wahl einer neuen Leitung, die auf dem 21. Parteitag bestätigt wurde. Ja, das war für unsere Partei ungewöhnlich, aber ein Prozess, der unseren demokratischen Grundregeln entspricht. Funktionäre können abgewählt werden. Die abgewählte Führung konnte das nicht akzeptieren, sprach von einem Putsch und negierte von da an die Beschlusslagen von Parteitagen und des Parteivorstandes. Dort, wo sie Mehrheiten hatte und hat, wurden bundesweite Beschlüsse nicht mehr umgesetzt.

Bewusst wurde die organisatorische Spaltung vorangetrieben. Stationen waren die Enteignung der Homepage des Parteivorstandes kommunisten.de, die Gründung einer Bündnisstruktur „Marxistische Linke“, der Versuch, mit „Unite“ einen Jugendverband neben der SDAJ aufzubauen, das Festhalten an der Europäischen Linkspartei durch das Nutzen ihrer Symbole auf Transparenten und Materialien, die Entsendung von DKP-Mitgliedern zu internationalen Treffen und Konferenzen durch den Verein Marxistische Linke. Später wurde das Kommunistische Netzwerk als Struktur in der DKP gegründet und organisierte zur Verständigung mehrere Geheimtreffen. Inzwischen nennt es sich „Kommunistisches Netzwerk in der DKP“, organisiert bundesweite öffentliche Veranstaltungen und unterhält eine eigene Homepage. Diesen Zustand zu akzeptieren hieße, eine Strömungspartei zu akzeptieren.

Inhaltlich beansprucht das Netzwerk als sogenannte Programmströmung für sich, das Parteiprogramm zu bewahren und zu schützen. Ohne Nachweis wird der Parteiführung vorgeworfen, das Programm von 2006 entsorgen und die Partei zu einer linkssektiererischen Sekte machen zu wollen.

Ein wichtiger Grundstein und dann auch Leitfaden für diese Entwicklung war die Auswertung des 20. Parteitages in der Bezirksorganisation Südbayern. Dort wurde festgestellt, dass sich die Debatte mit uns nicht mehr lohne, und ein Fahrplan für den Aufbau von Parallelstrukturen mit eigener Jugend-, Kultur- und internationaler Arbeit skizziert. Es war dieser Fahrplan, den die Organisatoren des Netzwerkes, aber auch der Bezirksvorstand in Südbayern versucht haben eins zu eins umzusetzen.

Auflösung eines Bezirks ohne Diskussion?

Die Auflösung des Bezirks Südbayern hatte einen zeitlichen Vorlauf und kam nicht überraschend. Bereits auf seiner 6. Tagung im November 2016 hatte der Parteivorstand über diese Maßnahme in Bezug auf die Bezirke Südbayern und Rheinland-Pfalz diskutiert. Beschlossen wurde aber zunächst, die Mitglieder der beiden Bezirke zu Versammlungen einzuladen, um mit ihnen über eine Situation zu diskutieren, in der es dem Parteivorstand nicht mehr möglich erschien, mit ihren Bezirksvorständen zusammenzuarbeiten. Diese ignorierten oder negierten in der Regel die Beschlüsse des Parteivorstandes und nahmen an Beratungen mit den Bezirken und Kommissionssitzungen des Parteivorstandes, wo diese zur Diskussion standen, in der Regel nicht mehr teil.

Auf der Versammlung in Südbayern im März konnte ich auf Nachfrage die Auflösung des Bezirks nicht ausschließen, was postwendend auch auf der Homepage der DKP Südbayern zu lesen war. Es kann also keine Rede davon sein, dass wir den Beschluss ohne vorherige Debatte herbeigeführt hätten.

Die Versammlung selbst machte die unüberwindbaren Gräben zwischen dem Bezirksvorstand und der gewählten Parteiführung, aber auch zwischen dem Bezirksvorstand und den Mitgliedern der Bezirksorganisation, die die Ergebnisse der vergangenen beiden Parteitage akzeptieren, noch einmal überdeutlich. An der Auswertung dieser Gespräche, gemeinsam mit den Sekretariaten aller Bezirke und Landesverbände im Rahmen der 8. PV-Tagung, nahmen die GenossInnen aus Südbayern nicht teil.

Der Auflösungsbeschluss wird von den Mitgliedern des ehemaligen Bezirksvorstands Südbayern nicht akzeptiert. Sie wollen weiter arbeiten als sei nichts geschehen. Das ist statutenwidrig und wir haben die Kreise und Gruppen aufgefordert, dies nicht mitzumachen.

Der Parteivorstand wird die Mitglieder der DKP Südbayern in diesem Jahr zu zwei Versammlungen einladen. Im September/Oktober wird es eine Beratung über die weitere politische Arbeit in Südbayern und im November/Dezember eine Versammlung zur Vorbereitung des 22. Parteitags mit der Wahl der Delegierten geben. Uns geht es um den Aufbau arbeitsfähiger Strukturen in Südbayern. Natürlich können sich die Genossinnen und Genossen des ehemaligen Bezirksvorstands wieder einbringen.

Wie weiter?

Heute stecken wir mitten in der Vorbereitung des 22. Parteitages. In ihrem Mittelpunkt steht eine nötige Debatte zur Strategie der KommunistInnen unter den aktuellen Bedingungen. Der Leitantrag an den 22. Parteitag ist ein Angebot an alle Genossinnen und Genossen, in die Diskussion über tatsächliche Unterschiede, die es in der Strategiedebatte gibt, einzusteigen und auch zu streiten. Dieser Streit kann uns helfen bei der Erarbeitung einer Strategieentwicklung auf der Höhe der Zeit, die zwingend notwendig ist für die Parteistärkung im umfassenden Sinne.

In der Vorbereitung des 22. Parteitages sind zudem alle Mitglieder aufgefordert, sich mit dem Netzwerk und seinen stets wiederholten Anwürfen gegen die Parteiführung auseinanderzusetzen. Es ist doch nachprüfbar, ob ein Bundestagswahlkampf, der die Partei mit ihren Inhalten und dem Sofortprogramm nach draußen führt, sektiererisch ist; ob das Ende der Mitgliedschaft in der ELP zur Verengung unserer internationalen Arbeit geführt hat etc. Die Arbeit der heutigen Parteiführung ist nicht ohne Fehler. Aber kann es ernsthaft darum gehen, wie es Heinz Stehr auf dem letzten Netzwerktreffen formuliert hat, „zurück zur Partei von 2012“ zu wollen?

Die Partei 2017 hat doch gezeigt, dass das Eingreifen in die Wahlkämpfe, die Friedensaktionen (z. B. in Büchel), unsere Teilnahme an den G20-Protesten, die Unterstützung der Kämpfe im Gesundheitswesen tatsächlich mehr Rot auf die Straße gebracht haben – dort, wo wir gemeinsam handeln.

Angesichts dessen, was ich skizziert habe, und weil ich in der Tat davon überzeugt bin, dass wir im Sinne der Partei und ihres Fortbestandes gehandelt haben, haben Rücktrittsforderungen für mich keine Grundlage. Nach Stand der Dinge werden die Vorsitzenden erneut kandidieren und müssen auf dem Parteitag Rechenschaft ablegen. Dann hat der Parteitag zu entscheiden.

Der 22. Parteitag wird eine Entscheidung zum Netzwerk fassen und ich werde dafür werben, dass ein Unvereinkeitsbeschluss gefasst wird, wenn es bis zum Parteitag kein Aufeinanderzugehen mit klaren und vertrauenswürdigen Signalen Richtung Auflösung der Parallelstrukturen gibt. Das heißt aber auch, dass ich bis zum 22. Parteitag dafür stehe, eine solche Entwicklung zu ermöglichen und dass alle, die das Netzwerk organisieren, bis zum Parteitag die Möglichkeit haben, sich zu entscheiden. Wir wollen weitere Gespräche führen.

Aus dem Saarland gibt es den Vorschlag, ein Moratorium durchzuführen, der ebenfalls in der Zusammenstellung der Reaktionen auf die 9. PV-Tagung nachzulesen ist. Über ein Moratorium ist grundsätzlich nachzudenken. Wir wollen das auf der 10. PV-Tagung im September tun. Zielstellung kann aber aus meiner Sicht nur sein, die Organisationsprinzipien der kommunistischen Partei wieder zur Grundlage aller Genossinnen und Genossen zu machen. Der vorliegende Vorschlag für ein Moratorium bedeutet in seiner jetzigen Fassung aus meiner Sicht das Gegenteil, nämlich die Akzeptanz von Parallelstrukturen über den 22. Parteitag hinaus. Genau das wollen und dürfen wir nicht zulassen.

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"Verantwortung wahrgenommen", UZ vom 18. August 2017



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