Israelische Regierung streitet um Frage, was rechts genug ist

Verachtung für das Leben

Israel hat nahezu 5.000 Palästinenser inhaftiert, mehr als 1.000 von ihnen ohne Gerichtsurteil und nur aufgrund administrativer Maßnahmen. Am 2. Mai starb Khader Adnan im Alter von 45 Jahren. Er hatte 87 Tage lang mit einem Hungerstreik gegen seine administrative Haft protestiert. Raketen aus Gaza auf israelische Siedlungen im Umkreis des Gazastreifens waren die palästinensische Reaktion. Es folgten israelische Luftangriffe auf Gaza – und ein schneller Waffenstillstand nach Vermittlung durch die UN, Ägypten und Katar. Für Itamar Ben-Gvir, den Rechtsaußen in der rechten israelischen Regierung, war der Waffenstillstand inakzeptabel. Er drohte damit, die Regierungskoalition zu verlassen. Doch sein Einfluss scheint geschwunden.

Khader Adnan wurde zwölf Mal verhaftet und protestierte mehrmals mit langen Hungerstreiks gegen die administrative Haft und ihre Bedingungen, das erste Mal im Jahr 2005. Der Protest galt seiner totalen Isolation und dauerte 25 Tage, bis er mit einem Erfolg endete. Ende 2011 dauerte sein Protest gegen die administrative Haft sogar 66 Tage, bis er freigelassen wurde. Diesmal gingen die israelischen Sicherheitsbehörden aufs Ganze. Die Sonderberichterstatterin der UN für Fragen der Menschenrechte in den besetzten Gebieten, Francesca Albanese, und Tlaleng Mofokeng, Sonderberichterstatterin für das Recht auf Gesundheit, nannten die willkürlichen Massenverhaftungen von Palästinensern „grausam und unmenschlich“. Sie warfen der israelischen Besatzung vor, Adnan ohne angemessene medizinische Versorgung weiterhin in Haft gehalten zu haben, obwohl sein Gesundheitszustand sich zunehmend verschlechtert hatte. Und die israelische Menschenrechtsorganisation B’Tselem erklärte, das Verhalten der Behörden zeige die absolute Verachtung Israels für Adnans Leben.

Als Reaktion auf den Tod von Adnan kam es zu Raketenangriffen auf die Städte im Umkreis von Gaza. Israel antwortete mit Luftangriffen und Beschuss durch Panzer. Nach einer Mediation durch Ägypten, Katar und die UN kamen diese Kämpfe schnell zu einem Ende. Der frühere Ministerpräsident Naftali Bennett kritisierte die Regierung von Benjamin Netanjahu – wegen des Waffenstillstands. Die Regierung habe Raketenangriffe aus dem Libanon, aus Gaza und Syrien ignoriert – da sei es keine Überraschung, dass der Feind weiterhin angreife. Und Ben-Gvir verlangte gar 50 Vergeltungsangriffe für jeden Angriff aus Gaza. Er nahm den Waffenstillstand zum Anlass, der Regierung mit dem Ende seiner Unterstützung zu drohen.

Am Dienstag kündigte Ben-Gvir an, mit seiner Fraktion vorerst nicht mehr an Knesset-Abstimmungen teilzunehmen. Er berief stattdessen eine Fraktionssitzung in Sderot ein. Sderot ist ein Städtchen unweit des Gazastreifens und immer wieder Ziel von Raketen aus Gaza.

Für den Likud war das nur eine Randnotiz. In einer offiziellen Erklärung hieß es, wenn Ben-Gvir unzufrieden sei mit der israelischen Sicherheitspolitik, stehe es ihm frei, die Regierung zu verlassen. Ganz so banal wäre ein Rückzug von Ben-Gvir für Netanjahu dennoch nicht. Die Regierungsmehrheit würde gegebenenfalls auf 58 Abgeordnete gegen 56 der Opposition schrumpfen – ein Zustand, der sich langfristig nicht durchhalten ließe. Zumal die Zustimmung zur Politik der Regierung mit den Protesten gegen die Justizreform stark gesunken ist.

Als Israel die Leichen von drei im März getöteten Mitgliedern der bewaffneten Organisation „Lions’ Den“ an die palästinensische Autonomiebehörde übergab, legte Ben-Gvir noch einmal nach: „Otzma Yehudit wird den Abstimmungen in der Knesset fernbleiben, bis die Regierung die rechte Politik betreibt, für die sie gewählt wurde.“

Mit dem Angriff auf Gaza am Dienstag – Israel setzte 40 Flugzeuge, Hubschrauber und Drohnen ein, es gab vorerst mindestens 12 Tote, darunter ein russischer Staatsbürger – scheint die israelische Regierung die Forderungen von Bennett und Ben-Gvir umzusetzen.

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"Verachtung für das Leben", UZ vom 12. Mai 2023



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