Gemeinsam kämpfen, gemeinsam siegen. Ein durchschlagendes Argument, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Doch auf dem Weg dahin gilt es zunehmend Klippen auch innerhalb der Gewerkschaften zu umschiffen. Bestätigt wurde dies jetzt durch den Alleingang des Landesverbandes Baden-Württemberg der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) im Fachbereich Handel. Dieser preschte am 27. Juli vor und schloss einen Tarifvertrag ab. Zeitgleich war aus Stuttgart zu hören, „mehr sei nicht drin gewesen“. Das ursprüngliche Ziel werde in absehbarer Zeit mit den zur Verfügung stehenden Arbeitskampfmitteln nicht zu erreichen sein, betonte der ver.di-Landes-Fachbereichsleiter Handel und Verhandlungsführer Bernhard Franke für den Einzelhandel im Schwabenland.
Woher kommt diese plötzliche „Schwächeerkenntnis“? Was ist der Hintergrund, den Arbeitskampf nicht weiter zu führen? Etwa eine noch stärkere Orientierung auf die viel beschworene Sozialpartnerschaft? Ein weiterer Grund dürfte die Bundestagswahl am 24. September sein. Der ver.di-Bundesvorstand will offenbar die Tarifauseinandersetzungen aus dem Wahlkampf heraus halten. Dies berichten Mitglieder der Hessischen Tarifkommission und ver.di-Sekretäre aus mehreren Landesbezirken. Ähnliches erlebten die Erzieherinnen schon einmal. Auch damals sollte der Arbeitskampf nicht in den Wahlkampf getragen werden.
Wut und Enttäuschung ist die Reaktion bei den Aktiven. War doch den Forderungen und gesteckten Zielen eine breite Diskussion bei den organisierten Handelsbeschäftigten und den ver.di-Gremien vorausgegangen. Sie erreichten, dass die Tarifkommissionen der Länder mit sechs Prozent, oder wie bei ver.di-NRW mit einen Euro mehr pro Stunde in die Verhandlungen gehen mussten.
Gerade den Festbetrag, verbunden mit einer sozialen Komponente, die verhältnismäßig größere Anhebung der unteren Gehaltsgruppen, machten sich viele Streikende zu eigen. Förderte deren Motivation und Mobilisierung. Die ver.di-Kommissionen wurden immer wieder aufgefordert, sich von der Ein-Euro-Forderung nicht abbringen zu lassen. ver.di-Sekretäre sahen sich sogar mit der Frage konfrontiert, wann Arbeitskämpfe endlich fachbereichsübergreifend zum Thema innerhalb der gewerkschaftlichen Strukturen gemacht würden.
Wegen des Abschlusses in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen bröckelt es nun in den restlichen ver.di-Landesfachbereichen, die noch verhandeln. So empfehlen bereits Gewerkschaftssekretäre aus Hessen den Mitgliedern der Tarifkommission Einzelhandel und den ver.di-Vertrauensleuten, die Tarifverhandlungen am 12. September auf der Grundlage der bereits getätigten Abschlüsse zu führen. Damit wird ein weiterer Schritt in dieser Tarifrunde gegangen, die Tarifauseinandersetzung „still und heimlich“ zu Ende zu bringen.
Klar dürfte sein: Erfolge wird es nur durch einheitliches Auftreten und koordiniertes Handeln der Belegschaften und ihrer Gewerkschaft geben. Dazu ist eine offene und solidarische Diskussion notwendig. Tarifverhandlungen bedürfen der bundesweiten Koordination, auf deren Einhaltung sich Verhandelnde und Kämpfende bewusst verständigen müssen. Alleingänge wie in dieser Tarifrunde schwächen letztendlich den gewerkschaftlichen Widerstand in der Auseinandersetzung mit dem Kapital.
In Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen steigen die Löhne und Gehälter um 2,3 Prozent und 2018 um weitere 2 Prozent. Hinzu kommt im März 2018 eine Einmalzahlung von 50 Euro für Vollzeitbeschäftigte und 25 Euro an Auszubildende. Die Ausbildungsvergütungen werden leicht überproportional erhöht. Die Laufzeit des Tarifvertrages beträgt 24 Monate. In der Branche arbeiten in Deutschland rund drei Millionen Menschen.
Nicht durchsetzen konnte sich ver.di mit der Forderung, die Tarifverträge für allgemeinverbindlich zu erklären. Damit alle Handelsunternehmen nach Tariflohn zahlen. Auf einem bundesweiten zentralen Aktionstag will sich die Gewerkschaft am 9. September im Düsseldorfer Hofgarten um 11 Uhr erneut dafür einsetzen. Auf der Veranstaltung spricht der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske. Eingeladen wurde ausgerechnet auch Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD). Deren Partei ist, zusammen mit CDU und FDP, verantwortlich dafür, dass immer mehr Unternehmen Tarifflucht begehen können.