In Deutschland fehlen 700.000 Wohnungen – Konzerne stoppen Bauvorhaben

VEB Vonovia?

Das Zentralorgan der Bourgeoisie ist entsetzt. Kommt jetzt der Sozialismus durch die Hintertür? „IG Bau: Vonovia sollte verstaatlicht werden“ titelte die FAZ am 21. September. Vor dem Wohnungsbaugipfel im Kanzleramt am vergangenen Montag habe die Politik viele Ratschläge aus der Branche – bis hin zu Rufen nach einer Verstaatlichung von großen Wohnungskonzernen – erhalten. Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) habe gerade ihren Vorschlag nach einer Teilverstaatlichung des Wohnungskonzerns Vonovia bekräftigt, berichtete die FAZ.

Steht nun tatsächlich die Enteignung des börsennotierten und größten europäischen Wohnungsbaukonzerns auf der Tagesordnung? Wird aus dem DAX-Konzern gar ein Volkseigener Betrieb? Ganz so weit gehen die Forderungen der Gewerkschaft dann doch nicht. Es sei jedoch höchste Zeit, dass der Bund bei Vonovia einsteige, so deren Vorsitzender Robert Feiger. Die IG BAU schlägt konkret einen staatlichen Anteil von 25 Prozent plus eine Aktie für eine Sperrminorität in der Hauptversammlung und Einfluss im Aufsichtsrat vor. „Der Staat würde damit Einfluss auf die langfristige Strategie bei Vonovia bekommen – also auch auf den Neubau, die Modernisierungen und die Mietpreisentwicklung“, argumentierte der Gewerkschafter. Jeder Neubau und jede Sanierung, die gestoppt werden, bedeute eine Gefahr für Arbeitsplätze. „Aber Kurzarbeit oder sogar Entlassungen dürfen wir uns nicht erlauben: Deutschland hat ein Rekord-Wohnungsdefizit“, so Feigner weiter.

Tatsächlich fehlen nach der aktuellen Wohnungsbau-Studie des Pestel-Instituts in Deutschland rund 700.000 Wohnungen. Insbesondere der Mangel an preisgünstigem Wohnraum wird immer größer. Den 25.000 neugebauten Sozialwohnungen standen im vergangenen Jahr 70.000 Wohnungen gegenüber, die aus der Preisbindung gefallen sind. Jeden Tag gehen so mehr als 100 Sozialwohnungen verloren. Die Situation wird dadurch noch verschärft, dass mit dem rapiden Rückgang an Sozialwohnungen gleichzeitig die Anzahl derjenigen, die auf günstigen Wohnraum angewiesen sind, massiv steigt. Schon 2020 waren 8,5 Millionen Mieterhaushalte in Deutschland armutsgefährdet und auf eine preisgünstige Wohnung angewiesen. Das sind rund 10 Prozent mehr als noch 2012. Ein Trend, der sich infolge der aktuellen Krise weiter verschärft.

Genau in dieser Situation verzichtet Vonovia nach eigenen Angaben auf den Bau von 60.000 Wohnungen. Das entspricht – so die IG BAU – dem kompletten Wohnungsbestand von Bottrop oder Remscheid und einem Fünftel der bundesweiten Neubauleistung des vergangenen Jahres.

Grund des Stopps der Bauplanungen seien laut Vonovia die gestiegenen Bau- und Finanzierungskosten. Diese Aussage des Bochumer Dax-Konzerns decken sich mit Angaben anderer Wohnungsgesellschaften, dass der Wohnungsbau so teuer geworden sei, dass die Unternehmen mit neuen Projekten rote Zahlen schreiben würden.

Jetzt, nachdem in der Branche die Goldgräber- der Katerstimmung gewichen ist, wird der Ruf der Baukonzerne nach dem Staat in seiner Funktion als ideeller Gesamtkapitalist immer lauter. „Ein großes Baupaket, das finanziell alles in den Schatten stellt, was die Bundesregierungen der vergangenen Jahrzehnte für den Wohnungsbau ausgegeben haben“ soll es sein. Unter anderem stehen eine massive Ausweitung von Zinsverbilligungen, die Entschlackung der Baustandards, ein „Sondervermögen“ für öffentliche Wohnungsunternehmen sowie die zeitweise Aussetzung der Grunderwerbsteuer auf der Wunschliste.

Der DGB hingegen setzt auf massive Investitionen der öffentlichen Hand, damit der Wohnungsbau nicht endgültig zum Erliegen kommt. Ein VEB Vonovia oder zumindest ein teilverstaatlichter Konzern – wie von der IG BAU in Spiel gebracht – wäre hier sicher eine erfolgversprechende flankierende Maßnahme. Ob am Ende eines solchen Prozesses dann drei Millionen neue, moderne und preisgünstige Wohnungen stehen, so wie schon einmal, als zwischen 1973 und 1989 im Rahmen der „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ zwischen Werra und Oder gebaut wurde?

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"VEB Vonovia?", UZ vom 29. September 2023



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