Am 8. Mai 1954 endete die Schlacht von Dien Bien Phu mit dem Sieg der Vietnamesischen Volksarmee

Valmy im Dschungel

In der mehr als 500-jährigen Geschichte antikolonialer Aufstände, Befreiungskriege und Revolutionen nehmen zwei militärische Auseinandersetzungen einen herausragenden Platz ein: die Schlacht von Dien Bien Phu in Vietnam im Frühjahr 1954 und die Schlacht von Cuito Cuanavale in Angola zu Beginn des Jahres 1988. Beide markieren epochale Wendepunkte, auch wenn der Krieg in Vietnam noch bis 1975 dauerte. Der Sieg der Vietnamesischen Volksarmee unter Führung des genialen Generals Vo Nguyen Giap (1911 bis 2013) am 8. Mai 1954 besiegelte das Ende des französischen Kolonialreichs in Südostasien. Die USA „übernahmen“ zwar den Krieg und steigerten ihn zum Völkermord, verloren aber politisch im Westen eine ganze Generation Heranwachsender – die Kluft zwischen „Demokratie“ und genozidaler Praxis war zu groß geworden. Am 30. April 1975 waren sie auch militärisch geschlagen und flohen zusammen mit ihren Marionetten Hals über Kopf aus Südvietnam.

Der Sieg von Cuito Cuanavale war von nicht geringerer Bedeutung. Als Nelson Mandela (1918 bis 2013) nach 25 Jahren Gefangenschaft vom Sieg der kubanisch-angolanischen Truppen über die CIA-finanzierte angolanische UNITA und die Truppen Südafrikas erfuhr, erklärte er ihn zum Wendepunkt in der Geschichte ganz Afrikas. Nach seiner Befreiung formulierte er das 1991 in Havanna gegenüber Fidel Castro und dem kubanischen Volk so: „Die entscheidende Niederlage der rassistischen Armee in Cuito Cuanavale war ein Sieg für ganz Afrika.“ Seine folgende Bemerkung gilt ähnlich auch für Dien Bien Phu: „Die entscheidende Niederlage der aggressiven Apartheidkräfte zerstörte den Mythos von der Unbesiegbarkeit des weißen Unterdrückers.“

Der Imperialismus lernte aus diesen Niederlagen. Die Kolonialkriege der USA und ihrer Vasallen nach dem Ende der So­wjet­union waren als „Hinrichtungs“-Kriege konzipiert: Im Irak, in Afghanistan oder in Libyen vermieden die westlichen Invasoren Feldschlachten. Sie nutzten vor allem ihre Luftüberlegenheit. In der Regel wurden einheimische – zumeist dschihadistische – Milizen als Bodentruppen eingesetzt. In Afghanistan scheiterte diese Taktik 2021 unter ähnlichen Umständen wie 1975 in Vietnam. Seitdem wird der Verlängerung des Krieges gegen Russland und der Vorbereitung des „großen“ Krieges gegen China alles untergeordnet. Beide Staaten gelten im Westen als die Mächte, die nicht nur politisch und wirtschaftlich das Streben nach echter Unabhängigkeit fördern, sondern auch den bewaffneten Kampf.

Der deutsche Imperialismus meldet sich dabei neuerdings auffällig oft mit eigenen Ambitionen zu Wort. So erklärte zum Beispiel Kriegsminister Boris Pistorius (SPD) in einem gemeinsamen FAZ-Interview mit seinem französischen Amtskollegen Sébastien Lecornu am 25. April zum erzwungenen Abzug der Truppen Frankreichs aus dem Sahel: „Wir wollen in der Region aktiv bleiben, auch um das Feld nicht Russen oder anderen zu überlassen, die einer weiteren Destabilisierung Vorschub leisten. Von Berlin oder Paris aus ginge das nur in begrenztem Maße, daher ist Präsenz vor Ort für uns wichtig.“ Lecornu ergänzte, Paris werde „auf ein neu gestaltetes französisches System in Afrika zusteuern, mit viel kleineren ständigen Garnisonen und neuen Partnerschaften, die auf Stärkung der afrikanischen Streitkräfte ausgerichtet sind“.

Der Völkermord in Gaza ordnet sich in dieses Bemühen um militärische Arbeitsteilung und einen Gegenschlag gegen die national befreiten Länder ein – und wird dort auch so verstanden. Den Mittleren und Nahen Osten behalten sich die USA ausdrücklich als ihr Kriegsgebiet vor. Die Zerstörung Gazas ist Teil jener Vernichtung, mit der die Region mehr als 30 Jahre lang systematisch überzogen wurde. Nur in Syrien gelang es durch das Eingreifen Russlands 2015 und den Sieg in der Schlacht um Aleppo 2016, die Zerstörung der Staatlichkeit durch USA, Türkei und IS zumindest einzudämmen.

Die Niederlage von Dien Bien Phu hatte nach achtjährigem Kolonialkrieg Frankreichs in Vietnam den Beginn einer anderen Zeitrechnung signalisiert. Die USA waren damals wegen der möglichen Konfrontation mit der So­wjet­union nicht bereit, dem Drängen Frankreichs auf Einsatz von Atombomben nachzugeben. 55 Tage dauerte die Belagerung der französischen Festung, die nach einer militärischen Meisterleistung schließlich gestürmt wurde. Gerhard Feldbauer schrieb 2019 in der „jungen Welt“ über die Schlacht: „Nach den Ursachen des Sieges befragt, erklärte Giap gegenüber ‚Le Monde‘: ‚Rufen Sie sich die Französische Revolution ins Gedächtnis zurück, erinnern Sie sich an Valmy und die schlecht bewaffneten Soldaten gegenüber der preußischen Berufsarmee. Trotzdem siegten Ihre Soldaten. Um uns zu verstehen, denken Sie an diese historischen Stunden Ihres Volkes. Suchen Sie die Realität. Ein Volk, das für seine Unabhängigkeit kämpft, vollbringt legendäre Heldentaten.‘“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

Einen Beitrag von Stefan Kühner über den Sieg des Vietminh in Dien Bien Phu haben wir im UZ-Blog veröffentlicht.

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"Valmy im Dschungel", UZ vom 3. Mai 2024



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