Hohe Haftstraften für TKP/ML-Aktivisten

Urteile für Erdoğan

Nach über 4 Jahren und 234 Verhandlungstagen ging am 27. Juli vor dem Staatsschutzsenat des Münchner Oberlandesgerichts (OLG) das Strafverfahren gegen 10 Unterstützer der Türkischen Kommunistischen Partei/Marxisten-Leninisten (TKP/ML) zu Ende. Vorerst – denn Revision zu Gunsten der Angeklagten ist bereits eingelegt. 483 Monate Haft verhängte das Gericht unter Vorsitz von Richter Manfred Dauster gegen die Angeklagten.

Anders als die harten Strafen, die nur knapp unter den Anträgen der Generalstaatsanwaltschaft blieben, vermuten lassen, wurden hier nicht etwa Gewalttaten oder auch nur deren Vorbereitung abgeurteilt. Es ging um gewöhnliche politische Arbeit: Flugblätter verteilen, Spendenkampagnen durchführen, Unterschriften sammeln, Veranstaltungen und Zusammenkünfte organisieren. Und das für eine Organisation, die in Deutschland nicht verboten ist. Allein das Erdogan-Regime hat die TKP/ML auf die Terrorliste gesetzt.

Der am 22. August 2002 als Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 eingeführte Paragraf 129b Strafgesetzbuch macht aus politischer Arbeit dann ein Verbrechen, wenn es um eine in irgendeinem anderen Staat missliebige und verfolgte Vereinigung geht. Die Norm schützt die öffentliche Sicherheit und Ordnung weltweit, gibt den traditionellen Inlandsbezug des deutschen Strafrechts auf und führt für Unterstützer schon dann zur Strafbarkeit, wenn die betreffende Organisation zwar noch keine Straftaten verübt, „wohl aber die Begehung künftiger Straftaten ins Auge gefasst hat“ (Bundesgerichtshof).

Voraussetzung für die Vorfeldkrimininalisierung ist eine „Ermächtigung zur Strafverfolgung“ – und die liegt vor, wenn das Bundesjustizministerium sie anordnet. Letztlich entscheidet also das Ministerium, was vor die Staatsschutzsenate der Oberlandesgerichte kommt. Und das heißt in diesen Fällen sofortige Verhaftung, denn angesichts der hohen Strafdrohungen im Bereich des politischen Strafrechts gilt der automatische Haftgrund der „Schwerkriminalität“ (Paragraf 112 Absatz 3 Strafprozessordnung), der ansonsten bei Mord und Totschlag zum Einsatz kommt. Für die Beschuldigten bedeutet das verschärfte Untersuchungshaft – 23 Stunden auf der Zelle, kein gemeinsamer Hofgang und Kontaktverbot.

Die Beweismittel im Verfahren vor dem OLG München entstammen zu großen Teilen den Aufzeichnungen des türkischen Geheimdienstes MIT. Der im Verfahren zur Bewertung der Materialien eingeschaltete Historiker und Türkei-Experte Christoph K. Neumann erläuterte den geringen Erkenntniswert solcher „Beweismittel“: „Bei geheimdienstlichen Darstellungen gerade aus der Türkei ist auch mit Berichten zu rechnen, die nur sehr eingeschränkte oder gar desinformierende Informationen weitergeben“. Sein Fazit: Nicht die TKP/ML sei gefährlich, „eine Gefährdung der türkischen Verfassungsordnung ist eher in Aktivitäten des radikal-sunnitischen ISIS oder der türkischen Regierung sowie des Präsidenten selbst erkennbar“. Das Gericht verwertete gleichwohl die Geheimdienstunterlagen. Nicht überraschend also, dass es aus den Reihen der Verteidigung hieß, es gehe der deutschen Justiz um eine „Auftragsarbeit für den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan“.

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