FDP blockiert Verabschiedung des EU-Lieferkettengesetzes

Unzumutbar?

Was ist ein Menschenleben wert? Im globalen Süden, an den verlängerten Werkbänken international agierender Konzerne nicht viel. Allein bei dem Einsturz einer baufälligen Textilfabrik im April 2013 in Rana Plaza kamen über 1.100 Arbeiter ums Leben, über 2.000 wurden teils schwer verletzt. Bis heute gilt das Unglück in Bangladesch als eines der größten in der Geschichte der Textilindustrie und ist zugleich ein Mahnmal der Verantwortungslosigkeit und Ignoranz vieler Unternehmen gegenüber lebensbedrohlichen Arbeitsbedingungen, Armutslöhnen, Umweltzerstörungen und Repressalien gegen Gewerkschaften in globalen Lieferketten.

Mit der Verabschiedung eines EU-Lieferkettengesetzes könnte dieses lukrative Geschäftsmodell zumindest eingeschränkt werden. „Die Richtlinie hätte die Chance geboten, Menschen und Umwelt in den weltweiten Liefer- und Wertschöpfungsketten von Unternehmen besser zu schützen“, so die „Initiative Lieferkettengesetz“, der neben Gewerkschaften rund 140 weitere Organisationen angehören.

Die finale Abstimmung zum Lieferkettengesetz ist jedoch im Rat der EU-Mitgliedstaaten am vergangenen Freitag kurzfristig verschoben worden. Der Grund: Deutschland hätte sich wegen des Widerstandes der FDP bei der Abstimmung enthalten. Damit war die nötige Mehrheit unter den Mitgliedstaaten nicht mehr gesichert.

Noch im Dezember 2023 hatte sich das Europaparlament gemeinsam mit den EU-Staaten nach zähen Verhandlungen auf den Entwurf eines Lieferkettengesetzes geeinigt. Dieses sollte ermöglichen, dass große Unternehmen, die von Kinder- oder Zwangsarbeit außerhalb der EU profitieren, zur Rechenschaft gezogen werden können. In der Union tätige Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und mindestens 150 Millionen Euro Umsatz würden nach den geplanten Regeln zukünftig für ihre Geschäftskette verantwortlich gemacht, also auch für Geschäftspartner des Unternehmens und teilweise auch für nachgelagerte Tätigkeiten wie Vertrieb oder Recycling. Unternehmen wären zudem verpflichtet worden, einen Plan zu erstellen, der sicherstellt, dass ihr Geschäftsmodell mit dem Pariser Abkommen zum Klimawandel vereinbar ist. Unternehmen, deren Firmensitz sich nicht in der EU befindet, wären unter das Gesetz gefallen, wenn deren Umsatz in der EU mehr als 300 Millionen Euro ausmacht.

Aus Sicht der FDP sind solche Regelungen weder „praxistauglich noch zumutbar“ und deren Minister Christian Lindner und Marco Buschmann warnten in Übereinstimmung mit der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) vor „zu viel Bürokratie und zu hohen Belastungen für den Mittelstand“.

Andere Kapitalfraktionen befürworten hingegen die EU-Regelung. Ein Grund dafür ist, dass Konzerne wie Aldi Süd, Tchibo oder der Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft in der europaweiten Regelung eine Verbesserung der eigenen Wettbewerbschancen gegenüber der Konkurrenz sehen, da sie sich nach eigenen Angaben bereits an UN- oder OECD-Standards bei Umweltschutz und Menschenrechten orientieren.

Darüber hinaus wurde die ursprüngliche Fassung des Lieferkettengesetzes in der von EU-Kommission, EU-Parlament und Rat ausgehandelten Richtlinie nach zwei Jahren Verhandlungen stark verwässert. So setzte die Bundesregierung durch, dass Waffenexporte und Finanzinvestitionen von dem EU-Gesetz ausgenommen werden. Außerdem sollen Unternehmen, die ihre Klimapläne nicht umsetzen, nicht sanktioniert werden.

Ginge es nach der Berliner Verhandlungskommission, wäre auch noch eine sogenannte „Safe-Harbour-Klausel“ als eine Art Freifahrtschein in dem Beschlusstext untergebracht worden. Diese sollte Unternehmen pauschal von einer möglichen Wiedergutmachung von Schäden befreien, die sie fahrlässig verursacht haben.

Wann die Mitgliedstaaten erneut über das Lieferkettengesetz abstimmen, ist noch unklar. Durch die Verschiebung ist jedoch fraglich, ob die Richtlinie noch vor den EU-Wahlen Anfang Juni verabschiedet werden kann. Der Mittelstand bleibt so vor „zu viel Bürokratie durch die Einhaltung von Menschenrechten“ zumindest vorerst verschont.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Unzumutbar?", UZ vom 16. Februar 2024



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Herz.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit