Wiederaufführung eines filmischen Doppelporträts, 80 Jahre nach Franco-Putsch und Beginn des Spanien-Kriegs

Unversöhnliche Erinnerungen

Von Hilmar Franz

Unversöhnliche Erinnerungen“ an den Terror der faschistischen Machtergreifung gegen Rotspanien auf der einen Seite, an den internationalen antifaschistischen Widerstand auf der anderen Seite des tiefen Grabens: Die Ernst Busch-Gesellschaft und das Berliner Kino „Krokodil“ stellten wachen Interessenten am 24. Mai einen in Leipzig und in Oberhausen prämierten 16-mm-Dokumentarfilm prüfend zur Neubesichtigung vor. Er wurde vor vierzig Jahren im Auftrag des ZDF produziert.

Nach wie vor brisant die egomanisch zur Schau gestellte Arroganz des Bundesluftwaffen-Generals a. D. und früheren Piloten der „Legion Condor“, Henning Strümpell. Seine egomanische Rückschau auf die Bombardierung spanischer Städte als ein „Jugendabenteuer“, die mit Göring übereinstimmende Begründung, der Ausweitung des Kommunismus an dieser Stelle entgegentreten zu müssen und die „junge“, bis 1933 noch heimlich aufgerüstete deutsche Luftwaffe in neuen, kühnen taktischen Manövern zu „erproben“ – das hatte schon bei der ersten Ausstrahlung 1979 für empörte Zuschauer- und heftige Medienreaktionen bis hin zur FAZ gesorgt. Strümpell und seinem Vorbild zufolge sollte das Gernika-Massaker nach ersten Bomben-Fehlschlägen auf eine Brücke ein ganz normaler Wiederholungsangriff gewesen sein: „Zivilopfer gar nicht zu vermeiden“.

„Das kann doch nicht sein!“ lautete das bei weitem überwiegende Echo nach der ZDF-Ausstrahlung im „Deutschen Herbst“, selbst bei staatstragenden Anhängern. Soviel Naivität hielt man für schädlich, wenn auch die rekonservierte BRD sich inzwischen vom NATO-Doppelbeschluss und der zweiten Welle der Kommunisten-Verfolgung leiten ließ.

Drei Regie-Absolventen der Filmakademie West-Berlin (dffb) um den inzwischen verstorbenen Klaus Volkenborn, jetzt durch Karl Siebig vertreten, hatten nacheinander General und Arbeiter zu narrativen Biografien und Positionierungen in dieser Ausein­andersetzung am Vorabend des zweiten Weltkriegs veranlasst. Denn sie war entscheidend für die Faschisierung Europas. Beider Äußerungen, am Schneidetisch einander gegenübergestellt, verließen diesen gänzlich unkommentiert, pur für sich sprechend, als antagonistisch verlaufende Lebenslinien.

Zum ersten: Henning Strümpell in seinem Taunus-Villenviertel bei Frankfurt. Als Freiwilliger für ein verdecktes Wehrmachts-“Erprobungskommando“ in Spanien, erinnert er stolz seinen blitzartigen Aufstieg zum Kampfstaffelflieger in der Legion Condor. Letztlich sie hätte „entscheidenden Einfluss auf den Sieg“ der faschistischen Franquisten gehabt. Über früh anerkannten „Heldenmut“ von Görings Hand zu Hause, vergisst er nicht die eigene Belohnung: Vom Mörder-Sold in Spanien einen edlen offenen Sport-Zweisitzer „Adler-Triumph“.

Noch demonstrativer als auf die familiäre bürgerliche Ahnentafel verweist der dekorierte Bundeswehr-Offizier im Ruhestand auf Alte Kameraden. „Für den Endsieg“ setzten sie als Abfangjäger den Einsatz strahlgetriebener Messerschmitts Me 262 mit Hitler gegen Göring durch. Inzwischen, 1979, hatten sie in der bundesdeutschen Generalität und in den NATO-Streitkräften das Sagen: Johannes Steinhoff, Condor-Draufgänger und „Kanaljäger“ Adolf Galand, „Starfighter“-Beschaffer Walter Krupinsky, Mitteleuropa-Stabschef Gerhard Barkhorn … Strümpell wusste sich damit zu schmücken.

Zum zweiten ist da der Maurer Ludwig Stillger im Remscheider Arbeiterviertel Honsberg, DKP-Mitglied, Gewerkschafter. Für den Klassenbewussten ist imperialistischer Krieg die Hölle, doch der Kampf in den Internationalen Brigaden moralische Pflicht. Stillger war nach abenteuerlicher Flucht ab 1933 am Aufbau illegaler KPD-Strukturen beteiligt, gelangte 1936 als freiwilliger Interbrigadist nach Spanien und kämpfte als MG-Schütze. Er überstand auch beschwerliche Fußmärsche, Hungerstrapazen eines französischen Internierungslagers und Alliier­ten-Gefangenschaft. Ab 1946 stellte er sich im kriegszerstörten Remscheid dem Wiederaufbau zur Verfügung, obwohl auch die Überlebenssicherung für seine gesundheitlich schwerst geschädigte Frau und Genossin Elisabeth viel Kraft und Anstrengung erforderte. Lisa war mit vier Monaten Einzelhaft, knapp zweijähriger Gefängnishaft und zwangsvollstreckter Ehescheidung dafür bestraft worden, dass Ludwig für die Nazis unerreichbar blieb. Diese aktenkundige einseitige Scheidung wurde in der Bundesrepublik für rechtens befunden, Lisas vormalig 13-jährige Wartezeit ignoriert, dem gemeinsamen Aufhebungsantrag nicht stattgegeben. Durch die überlebensnotwendige Neuverheiratung gingen schließlich 30 Jahre lang existenzielle Unterhaltsanerkennungen verloren, zumal aus Sicht der Behörden auch die illegalen Jahre im aktiven antifaschistischen Widerstand und die Tätigkeit nach dem KPD-Verbot von 1956 bestraft gehörten.

Unmittelbar nach der ZDF-Sendung 1979 trafen bei den Dokumentarfilmern weiterzuleitende solidarische Geldspenden für das Ehepaar Stillger ein. Dem anwachsenden öffentlichen Druck schloss sich schließlich auch ein regional-behördlicher auf das Remscheider Bürgermeisteramt an. So kam es, dass alle bisherigen Hindernisse plötzlich aus dem Weg geräumt wurden. Allerdings blieben Ludwig Stillger nur noch zwei Lebensjahre, um die erkämpfte VVN-Rente auch zu genießen.

Karl Siebig berichtete jetzt von Drangsalierungen durch die spanische Polizei bei vorbereitenden Filmdrehs während der machtvollen ersten Maikundgebungen nach Francos Tod 1977 in Barcelona. Während einer der Kameramänner festgehalten und das Material beschlagnahmt wurde, versuchte Siebig mit der zweiten Kamera und dem Stativ zu entkommen. Bei der Flucht über den dicht gefüllten Marktplatz wurde ihm die hinderliche Gerätschaft von zunächst anonymen Genossen abgenommen und versteckt. Er entkam, und mit einer gezielten Rück-Übergabe „aus dem Off“ war zumindest diese Aufzeichnung gerettet.

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"Unversöhnliche Erinnerungen", UZ vom 3. Juni 2016



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