Zum 125. Geburtstag von Max Reimann

Unvergessen

Von den 65 Abgeordneten, die von den Westalliierten auserkoren waren, das Grundgesetz der späteren Bundesrepublik auszuarbeiten, waren zwei unbequeme Zeitgenossen. Es waren die Genossen Max Reimann und Hugo Paul, Letzterer später vertreten von Heinz Renner, die von der KPD in das Gremium entsandt wurden.

Nur drei Jahre nach der Befreiung Deutschlands und Europas vom Faschismus durch die Anti-Hitler-Koalition orientieren die imperialistischen Staaten auf die Spaltung Deutschlands. Im Westen sollte ein Separatstaat gegen den Sozialismus etabliert werden. Dazu rehabilitierten vor allem die USA das deutsche Monopolkapital und griffen auf zahlreiche Funktionsträger des deutschen Faschismus zurück.

Das stellte die KPD vor eine schwierige Aufgabe. Es ging darum, sowohl für die Einheit Deutschlands zu kämpfen als auch jede Chance zu nutzen, um die Schuldigen an Faschismus und Spaltung zu entlarven und ein Höchstmaß an demokratischen Grundrechten für die arbeitenden Menschen zu erreichen.

Reimann schrieb über diese Zeit:

„Zu dieser Zeit trat Adenauer als Vollstrecker der Spaltung in Aktion. Am 1. April 1948 erklärte er auf einer Vorstandssitzung der CDU, dass die deutsche Einheit vom Westen her wieder aufgebaut werden müsse (…) Das entscheidende politische Geschehen spiele sich in den Westzonen ab.´ Sein Plan bestand darin, den Westen Deutschlands abzuspalten, die Herrschaft der deutschen Imperialisten wiederzuerrichten, Westdeutschland wieder aufzurüsten, um im Bündnis mit den USA dann den Osten Deutschlands wiederzuerobern und Osteuropa ,neu zu ordnen‘.

Ich erinnere mich noch, wie am 7. April 1948 der konservative britische Militärgouverneur Robertson jene Abgeordneten, unter denen sich auch Dr. Adenauer befand, die zur Spaltung bereit waren, mit den Worten ermunterte: ,Wir bieten Ihnen … unsere Zusammenarbeit an. Lassen Sie sich von Unruhestiftern, die Kollaborateur schreien, nicht einschüchtern.´ Ich wurde damals, weil ich diese nationalen Verräter als „alliiertes Hilfspersonal“ bezeichnet hatte, von einem britischen Militärgericht verurteilt. Das war zu der Zeit, als der sogenannte Parlamentarische Rat, dessen Vorsitzender Dr. Adenauer war, das Grundgesetz beriet, mit dem Deutschland politisch gespalten wurde.“

Dennoch kämpften Reimann und seine Genossen für eine Erweiterung der Rechte des Volkes. Sie traten ein für die konsequente Umsetzung der bürgerlichen Rechte der Menschen. Sie forderten die Gleichstellung von Mann und Frau, gleichen Lohn für gleiche Arbeit, die Mitbestimmung der Gewerkschaften, ein garantiertes Streikrecht für Arbeiter als Verfassungsgrundsatz, die Gleichstellung der Jugend, das Wahlrecht ab 18 Jahren, ein unverfälschtes Verhältniswahlrecht und nicht zuletzt die Ächtung des Krieges. Am 8. Mai 1949 wurde das Grundgesetz mit 53 Ja-Stimmen und 12 Nein-Stimmen beschlossen. Die Gegenstimmen setzten sich zusammen aus den Vertretern der KPD und den Abgesandten der CSU unter Führung von Franz Josef Strauß. Diese begründeten ihre Ablehnung damit, dass im Grundgesetz zu viel Demokratie enthalten sei.

Reimann und Renner verweigerten ihre Unterschrift unter das Grundgesetz mit folgenden Worten: „Sie, meine Damen und Herren haben diesem Grundgesetz, mit dem die Spaltung Deutschlands festgelegt ist, zugestimmt. Wir unterschreiben nicht. Es wird jedoch der Tag kommen, da wir Kommunisten dieses Grundgesetz gegen die verteidigen werden, die es angenommen haben.“

Am 18. und 21. Mai 1949 ratifizierten die westdeutschen Landtage durch Zweidrittelmehrheit das Grundgesetz. Eine geplante Volksabstimmung zur westdeutschen Verfassung wurde nie realisiert.

Mit der Spaltung Deutschlands verschärfte sich der Antikommunismus sowohl gegen die Sowjetmacht als auch gegen die KPD. Im Mittelpunkt des Wirkens von Max Reimann als Vorsitzender der KPD stand deshalb die friedliche und demokratische Wiedervereinigung Deutschlands. Das war in den Augen der KPD gleichzeitig der entscheidende Schritt zur Sicherung des Friedens in Europa. Damit eng verbunden war der Kampf gegen die Aktivitäten der Regierung und der bürgerlichen Parteien zur Wiederaufrüstung Westdeutschlands.

Dazu sagte Reimann im September 1951 im Bundestag: „Es gibt für Westdeutschland nur zwei Wege. Der eine Weg führt mit dem Washingtoner Abkommen, der Wiederaufrüstung Westdeutschlands und seiner Einbeziehung in den Atlantik-Pakt zum Angriffskrieg, der damit zugleich ein Bruderkrieg gegen die Deutschen in der Deutschen Demokratischen Republik wird. Der andere Weg ist der Weg der gesamtdeutschen Verständigung, der Weg der freien, gleichen, direkten und geheimen Wahlen in ganz Deutschland zur Nationalversammlung, der Abschluss des Friedensvertrages mit dem Abzug aller Besatzungstruppen.“

Mit der Zuspitzung der Kriegsgefahr durch den Imperialismus wurde die Situation in Westdeutschland schwieriger. 1951 wurde die FDJ wegen ihres Kampfes gegen die Wiederbewaffnung verboten. Im gleichen Jahr wurde das erneute Verbot der Kommunistischen Partei im restaurierten deutschen Imperialismus beantragt. Schon 1954 wurde Reimann per Haftbefehl gesucht und musste in die DDR fliehen. Von hier aus leitete er die Partei auch in der Illegalität weiter und kämpfe für die Aufhebung des KPD-Verbots.

1968 kehrte er in die BRD zurück und war bis zu seinem Tod 1977 Ehrenvorsitzender der DKP.

Eklat im Bundestag
Herbert Mies zu Max Reimann
Aus der Vielzahl von Begebenheiten, die in die Geschichte der alten Bundesrepublik eingingen und mit dem Namen von Max Reimann verbunden sind, möchte ich nur diese eine in die Erinnerung rufen.
Eine Chronik schildert die Bundestagssitzung vom 22. September 1950 so: „Während der Rede des KPD-Abgeordneten Max Reimann kommt es im Bundestag in Bonn zu einem Eklat. Nachdem Reimann schon mehrmals von dem Abgeordneten Franz-Josef Strauß unterbrochen worden ist, erhält er wegen der Feststellung, dass die Oder-Neiße-Grenze eine ,Grenze des Friedens‘ sei, vom Bundestagspräsidenten Erich Köhler einen Ordnungsruf und wird dann durch Händeklatschen und dauernde Zwischenrufe zum Abbruch seiner Rede gezwungen. Anschließend betreten zwei angebliche Russland-Heimkehrer mit zerschlissener Kleidung und durchlöcherten Schuhen das Podium. Einer von ihnen ergreift das Mikrophon und ruft: „Kein Heim und nichts zu essen, und dann soll man diesen Mann in dieser Weise reden hören! Wenn ich ihn kriegen könnte, würde ich ihm den Hals umdrehen.“
Daraufhin wird die Sitzung unterbrochen. Später betritt Bundeskanzler Adenauer das Podium und gibt im Namen der Bundesregierung eine Erklärung ab: „Wir bedauern, dass dieser Saal und diese Rednertribüne durch eine solche Rede des Abgeordneten Reimann, die den deutschen Interessen absolut zuwiderläuft, entweiht worden sind. Die Bundesregierung erachtet es weder mit ihrer Stellung und Verantwortung noch mit ihrer Würde für vereinbar, in Zukunft solche Reden anzuhören.“ Nach Beendigung des zweiten Tages der Aussprache über die Regierungserklärung wird bekannt, dass die beiden Unbekannten am Tag zuvor von Bundestagspräsident Köhler Eintrittskarten für die Zuschauertribüne erhalten hatten und er sie außerdem Bundeskanzler Adenauer vorgestellt hatte.“
Diese und andere Episoden sind Beispiel dafür, dass Max Reimann den Schwur von Buchenwald „Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!“ und den Kampf für die Unumkehrbarmachung der Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges zu seiner Lebens- und Kampfmaxime gemacht hatte.
In Ostpreußen wurde er geboren. Der Ruhrbergbau machte ihn zum Kommunisten und Arbeiterführer. Die Achtung vor seinem Lebensweg, seinem Engagement im Klassenkampf, im antifaschistischen Widerstand sowie seine Parteierfahrungen führten ihn, einen, der das KZ Sachsenhausen überlebt hatte, an die Spitze der KPD. Der Kampf gegen das Ruhrstatut, die Spaltung Deutschlands, die Remilitarisierung, den Kalten Krieg, das erneute Verbot der KPD, die atomare Hochrüstung, für die Anerkennung der DDR sowie die Freundschaft mit der Sowjetunion sind mit dem Wirken Max Reimanns verbunden. All seine Kämpfe zeigten: Max Reimann, diese hervorragende Persönlichkeit in der westdeutschen und internationalen Arbeiterbewegung, hatte Charisma. Er bekam es als leidenschaftlicher Klassenkämpfer, überzeugter Revolutionär und eindrucksvoller Agitator, als Patriot und Internationalist. Im Auf und Ab der Kämpfe und auch bei Irrungen, die er mitzuverantworten hat, hat er nie den Glauben an den letztendlichen Sieg der Sache des Sozialismus verloren.
In Max Reimann und seinen gleichaltrigen Kampfgefährten personifizierte sich ein großer Teil der revolutionären Seiten der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung im 20. Jahrhundert. Die DKP kann stolz darauf sein, dass dieser Mann noch einige Jahre ihr Ehrenpräsident war. Ich bin und bleibe stolz darauf, dass er mir und meiner Kommunistengeneration in der DKP ein eindrucksvoller Lehrmeister war und wir eine lange Wegstrecke seine Mitstreiter waren.
Dieser Artikel von Herbert Mies erschien in der UZ vom 25. Januar 2002.

Reden und Schriften von Max Reimann sind im Antiquariat der UZ erhältlich. Verfügbarkeit variiert.

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"Unvergessen", UZ vom 3. November 2023



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