Unternehmen mauern

Werner Sarbok im Gespräch mit Detlev Beyer-Peters

Detlev Beyer-Peters

Detlev Beyer-Peters

Detlev Beyer-Peters ist Stellvertretender Gesamtbetriebsratsvorsitzender des AWO-Bezirks Westliches Westfalen e.V. und Mitglied der ver.di-Tarifkommision Altenpflege auf Bundesebene. Der Fachkrankenpfleger kandidiert auf Platz 28 der Liste der DKP zu den Wahlen für das EU-Parlament.

UZ: Gerade einmal 22 Prozent der Pflegekräfte in Deutschland arbeiten in tarifgebundenen Unternehmen. Auf welcher Basis erfolgt die Entlohnung der nicht tarifgebundenen Kolleginnen und Kollegen?

Detlev Beyer-Peters: Soweit für die Kolleginnen und Kollegen kein Tarifvertrag gilt, dürfen sie nicht weniger als den gesetzlichen Mindestlohn verdienen, der derzeit für Pflegekräfte und unterstützendes Personal in den westlichen Bundesländern 11,05 Euro und in den östlichen Bundesländern 10,05 Euro beträgt. Das ist äußerst knapp über dem Mindestlohn im Reinigungsgewerbe.

UZ: Wie ist diese niedrige Tarifbindung zu erklären?

Detlev Beyer-Peters: Einerseits nimmt der Anteil der privaten Anbieter von ambulanten und stationären Pflegedienstleistungen stark zu. Andererseits existiert in diesen Betrieben in der Regel keine betriebliche oder gewerkschaftliche Vertretung. Häufig wird in privaten Einrichtungen die Bildung von Betriebsräten oder gewerkschaftliches Engagement bestraft, sei es durch Mobbing oder Kündigung von Aktiven.

UZ: Du bist Mitglied der ver.di-Tarifkommission Altenpflege, die sich vor einem halben Jahr in Berlin konstituiert hat. Was sind die Ziele dieser Kommission?

Detlev Beyer-Peters: Die Ziele der Bundestarifkommission Altenpflege bestehen darin, einen Tarifvertrag zunächst einmal zu entwerfen, der für alle Beschäftigten in der Altenpflege Gültigkeit haben soll und der nach dem Entsendegesetz für allgemeingültigverbindlich erklärt werden kann. Die Tarifkommission hätte die Aufgabe, einen solchen Branchen-Tarifvertrag zu verhandeln und abzuschließen.

UZ: Was habt ihr bisher erreicht bzw. auf welche Probleme seid ihr gestoßen?

Detlev Beyer-Peters: Zunächst waren wir erstmalig in der Situation, einen solchen Tarifvertrag für die gesamte Altenpflegebranche entwickeln zu müssen, der den Regelungen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes entspricht und die konkreten Arbeitsbedingungen der Beschäftigten einer ganzen Branche regelt. Der Tarifvertrag kann etwa drei Mindestentgeltsätze einschließlich der Überstundensätze sowie die Dauer des Erholungsurlaubes, das Urlaubsentgelt oder ein zusätzliches Urlaubsgeld regeln. Darüber hinaus können die allgemeinen Arbeitsbedingungen festgelegt werden, mit denen wir die Arbeit der Beschäftigten erleichtern wollen. Hierzu zählen zum Beispiel die Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten, die Sicherheit, den Gesundheitsschutz und die Hygiene am Arbeitsplatz, die Schutzmaßnahmen im Zusammenhang mit den Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Schwangeren und Jugendlichen und die Gleichbehandlung von Männern und Frauen sowie andere Nichtdiskriminierungsbestimmungen.

Aber es steht noch gar nicht fest, mit wem wir auf der Arbeitgeberseite verhandeln können. Der Bundesverband der privaten Anbieter von Pflegedienstleistungen wehrt sich dagegen, überhaupt über einen Tarifvertrag zu verhandeln, der über das Entsendegesetz für alle Beschäftigten in Altenpflegeeinrichtungen gelten soll. Die wollen lieber nur über den Mindestlohn für Pflegekräfte sprechen.

Ob und auf welche Weise sich die kirchlichen Arbeitgeber beteiligen, steht ebenfalls noch nicht fest. Die tarifabhängigen Wohlfahrtsverbände wie beispielsweise die Arbeiterwohlfahrt (AWO) und der Arbeiters-Samariterbund (ASB) und vielleicht auch noch das DRK haben da schon ein größeres Interesse an einen Tarifvertrag, der für alle Unternehmen zwingende Gültigkeit hat.

UZ: Warum sperren sich die Unternehmen gegen einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag für die gesamte Altenpflege?

Detlev Beyer-Peters: Bei den gemeinnützigen Unternehmen ist es zwar so, dass ein Gewinn erarbeitet werden darf, dieser Gewinn muss aber gemeinnützig verwendet werden. Bei den privaten Anbietern hingegen kann ein Teil des Gewinnes auch in die eigene Tasche gesteckt werden. Und dieser Gewinn ist umso höher, je niedriger die Löhne sind.

Mit der Einführung der Pflegeversicherung wurde vor mehr als 25 Jahren in der Pflegebranche bewusst ein kapitalistischer Konkurrenzkampf losgetreten, der nur die Preise der Ware Arbeitskraft im Fokus hat. Aber dort, wo wir Hilfe für Menschen leisten, müssen Mechanismen geschaffen werden, durch die nicht der Kampf um die günstigste Arbeitskraft, sondern der Wettbewerb um die beste Qualität geführt wird. Andernfalls sieht es böse aus.

UZ: Gesundheitsminister Jens Spahn hatte kürzlich 2 500 Euro als mögliches Einstiegsgehalt für die Fachkräfte in der Altenpflege genannt. Kann das ein geeignetes Mittel sein, dem dramatischen Fachkräftemangel entgegenzutreten und für junge Menschen ein Anreiz sein, um in diesen Beruf einzusteigen?

Detlev Beyer-Peters: Wir haben bei der AWO zurzeit ein Einstiegsgehalt für Fachkräfte von 2 720 Euro. Dabei ist uns der öffentliche Dienst schon wieder voraus. Das ist bei den Pflegehelfern nicht so. Die privaten Anbieter wollen den Mindestlohn für die Fachkräfte aus Konkurrenzgründen absichern. Denn je niedriger der Lohn für die Fachkräfte ist, desto schwerer sind sie auf dem Arbeitsmarkt zu kriegen beziehungsweise im Unternehmen zu halten. Und  Träger mit höheren Löhnen grasen natürlich den Markt ab. Ohne ausreichende Fachkräfte droht den Betreibern von Altenpflegeeinrichtungen ein Belegungs- oder Behandlungsstopp der Aufsichtsbehörden.

Diesen Druck haben die Pflegeunternehmen bei den Pflegehilfskräften nicht. Sie haben in der Regel keine oder nur eine förderliche bis einjährige Ausbildung und sind auf dem Arbeitsmarkt viel leichter zu bekommen. Deshalb werden sie bei den privaten und auch manchem gemeinnützigen Unternehmen schlechter als bei der AWO oder im öffentlichen Dienst bezahlt. Für die anderen Beschäftigten sind die Arbeitgeber nicht bereit, eine einheitliche Entlohnung anzubieten, lediglich den gesetzlichen Mindestlohn. Der liegt wesentlich niedriger.

ver.di strebt eine Regelung an, die für drei Qualifikationsgruppen gelten könnte: zum Beispiel Beschäftigte ohne Ausbildung, Beschäftigte mit einer Ausbildung unter drei Jahren und Beschäftigte mit einer Ausbildung von mindestens drei Jahren. Für die Pflege-Fachkräfte hat ver.di beim Mindestlohn immer schon ein Einstiegsgehalt von 3 000 Euro gefordert. Da liegen natürlich die Vorstellungen der privaten Anbieter weit drunter.

UZ: Im Gesundheitswesen gibt es seit dem letzten Jahr an verschiedenen Kliniken Arbeitskämpfe um einen „Tarifvertrag Entlastung“, in 14 Einrichtungen wurden bisher Einigungen erkämpft. Die Personalsituation, die Arbeitsbedingungen und Entlohnung in der Altenpflege sind noch wesentlich schlechter als im Gesundheitswesen. Warum ist es so ruhig in der Altenpflege?

Detlev Beyer-Peters: Die entscheidende Frage dabei ist, ob und wie ein solcher Tarifvertrag in der Altenpflege durchsetzbar ist. Bei den Entlastungstarifverträgen haben wir es in der Regel mit Verträgen für Universitätskliniken zu tun, die eine entsprechende Größe aufweisen. In der Altenpflege haben wir es in der Regel mit kleinen und mittleren Unternehmen bis höchstens 120 Beschäftigten zu tun. Die Angst der Beschäftigten ist hier oftmals so groß, dass sie noch nicht mal für die Wahl einer eigenen Interessenvertretung sorgen. Der Organisationsgrad von ver.di ist im Durchschnitt viel niedriger als in den Krankenhäusern, beispielsweise in den Universitätskliniken. Geschweige denn, dass gewerkschaftliche Vertrauensleutestrukturen existieren. Erfahrungen aus Kämpfen zur Durchsetzung eines Tarifvertrages bestehen kaum. Das heißt, dass das ausreichende Durchsetzungspotential in der Altenpflege derzeit fehlt. Dabei wird die Unzufriedenheit von Beschäftigten in Altenpflegeeinrichtungen immer größer. Dies hängt nicht nur mit der schlechteren Bezahlung, sondern auch mit der katastrophalen personellen Situation und dem Druck in den Betrieben zusammen.

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"Unternehmen mauern", UZ vom 5. April 2019



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