Wenn es um die Energiepolitik geht, erzählen die Regierenden die wildesten Geschichten: von menschenfreundlichem Gas aus Katar oder der neuentdeckten Zukunftsfähigkeit von Fracking, Kohle und Atom. Während die großen Energiekonzerne Zusatzgewinne im Milliardenbereich erwarten, wird uns erklärt, dass hohe Gaspreise ein Zeichen von Solidarität und das Frieren im Winter eine patriotische Pflicht seien. Wo das Kapital ins Straucheln gerät, sollen milliardenschwere Rettungspakete eine Versorgung sichern, die die Regierung mit ihren Sanktionen selbst gefährdet. Die Zahl der Zweifelnden wächst, auch auf kommunaler Ebene. Mehrere Bürgermeister auf der Insel Rügen forderten kürzlich, die Pipeline „Nord Stream 2“ in Betrieb zu nehmen. Ihre Rufe blieben ebenso ungehört wie die Forderungen nach einem Hilfsprogramm für die Stadtwerke.
Die aktuelle Energie- und Sanktionspolitik könnte die kommunalen Unternehmen in eine existenzgefährdende Krise stürzen. Die meisten Stadtwerke sind als Grundversorger tätig und einem öffentlichen Auftrag verpflichtet. Sie kaufen das Gas in der Regel nicht an der Börse, sondern direkt von den jeweiligen Importeuren und Großhändlern. Dadurch gelang es den Stadtwerken, langfristige Preisgarantien zu geben und die örtliche Versorgung abzusichern, während private Billiganbieter reihenweise in die Pleite gingen. In der gegenwärtigen Krise gehören die Stadtwerke zu den günstigsten Anbietern. Selbst die Preise der traditionell teuren Grundversorgung liegen derzeit unter den Angeboten vieler Privatunternehmen, wie die „WirtschaftsWoche“ vor kurzem berichtete.
Das wird sich bald ändern. Die Umlage im Energiesicherungsgesetz ermöglicht es den Gasimporteuren, bestehende Verträge zu ignorieren und die steigenden Preise entlang der Lieferkette weiterzugeben. Der Vorteil, den die langfristige Einkaufspolitik der Stadtwerke mit sich brachte, wird somit aufgehoben. Sie werden dazu gezwungen, die Tarife zu erhöhen. Viele Kunden werden dann nicht mehr in der Lage sein, ihre Rechnungen zu bezahlen. Die Zahlungsausfälle bleiben wiederum bei den Stadtwerken hängen, die diesem Teufelskreis nicht entgehen können, weil sie das Bindeglied zwischen Importeuren und Verbrauchern bilden. Doch Hilfen vom Bund sind nicht zu erwarten. Wenn es nach Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) geht, sollen die Kommunen für die drohende Schieflage der Stadtwerke aufkommen. „Es entspricht dem föderalen Staatsaufbau, dass die Verantwortung für öffentliche Unternehmen beim jeweiligen Eigentümer liegt“, schrieb er in einem Brief an die Länder, die im Bundesrat einen „Schutzschirm“ für die Stadtwerke gefordert hatten. Es ist ein feiner Unterschied: Private Konzerne wie Uniper sind rettungswürdig – die öffentliche Infrastruktur ist es offenbar nicht.
Viele Kommunen werden nicht in der Lage sein, ihre Stadtwerke zu stützen. Dadurch dürfte der Privatisierungsdruck steigen, was der Bundesregierung und ihren Klienten in den Konzernzentralen nur recht sein kann. Hinzu kommt, dass die Stadtwerke vielerorts im Zentrum des sogenannten „kommunalen Querverbundes“ stehen. Mit den Gewinnen aus dem Energiegeschäft werden auch Schwimmbäder oder der öffentliche Nahverkehr finanziert. Fallen diese Einnahmen weg, droht eine Kettenreaktion. Ein „Rettungsschirm“ wäre ein vorübergehender Schutz für die kommunalen Unternehmen, doch keine Lösung der zugrundeliegenden Probleme. Dafür bräuchte es ein schnelles Ende der Sanktions- und Kriegspolitik und den Einstieg in eine antimonopolistische Energiewende. Die kann nur mit leistungsfähigen Stadtwerken gelingen, die als dezentrale Produzenten von erneuerbaren Energien in öffentlicher Hand tätig werden. Doch genau das, so scheint es, wird im Zuge der selbstgemachten Krise verhindert.