Tag der Toten in Dortmund

Unterirdisch

Von Karl Rehnagel

Unterirdisch schon der Tagesbeginn. Ich hatte die zu leistenden Gemeinschaftsstunden von Gartenbro A. übernommen, stand also brav um 8.00 Uhr am Vereinsheim des Schrebergartenvereins, morgens wohlgemerkt. Seit nun acht Jahren leisten wir unsere vier Stunden immer von acht bis zwölf ab, nur heute – am Derbytag – fand es der Vorstand lustig, die Einheit um 9.00 Uhr beginnen zu lassen. Stand auch auf dem Zettel, aber lese ich so etwas nach all den Jahren noch genauer? So hing ich bis 9.00 Uhr übermüdet in der Laube rum, der Vorstand ließ danach bis Punkt 13.00 Uhr Laub harken und ähnlich Sinnfreies veranstalten. Nicht bis zehn vor Eins, nicht bis fünf vor Eins, nein bis Punkt Eins. Ich war bedient und raste zu Dusche und Frühstück, um 14.30 Uhr war das Treffen mit dem Schalker Kumpel M. angesetzt, in alten Gefilden.

U., der Mann ohne Zähne, lag im Krankenhaus, „TBC“, wie er kurz angebunden per WhatsApp mitteilte. Na, danke schön. Die schöne M., Königin der schlechten Laune, hatte einen so üblen Tag erwischt, dass Hunde, kleine Kinder und studentische Bedienungen, die zu langsam waren, in ihrer Nähe erfroren. Sie saß 90 Minuten kerzengerade und sprachfrei in vorderster Front des Tisches und bestrafte Fragen nach ihrer Befindlichkeit mit salzsäuregetränkten Blicken. Krass. Gartenbro A. kam wie immer knapp zum Anpfiff und der Schalker M. hatte beste Laune, kein Wunder, die Vorzeichen standen äußerst günstig für die Blauen.

Das Spiel war dementsprechend. Schalke klar und kämpferisch, Dortmund ein Abbild ihres Trainers: Zögerlich, abwartend, verzwurbelt, irgendwie gehemmt. Was die Truppe eigentlich können müsste und was sie zeigt, ist so unterschiedlich wie Paris und Castrop-Rauxel Bladenhorst. Zum Verzweifeln. Dortmund rettete dann unverdient ein 0:0 über die Zeit, mit Unterstützung von Latte, Pfosten, Schiedsrichter (über einen Handelfmeter hätte sich kein Dortmunder beschweren können) und einem großartigen Marwin Hitz im Dortmunder Tor. Der einzige Dortmunder im Übrigen, der Normalform zeigte. Es ist doch so: Von mir aus können wir auch Spiele verlieren, aber diese grenzenlos pomadigen Auftritte, diese „Bloß-kein-Gegentor“-Taktik des Trainers ist so spannend wie ein Doppelkopfabend mit Alzheimerpatienten in Hodenhagen bei Neustadt am Rübenberge. Ich sehe nur eine Möglichkeit: Lucien Favre, der ach so große Fußballfachmann (Beweise??), muss schnellstmöglich ersetzt werden. Der Mann sagt doch allen Ernstes nach dem Spiel – falsch – nach dem DER BY„0:0 am Ende, das ist jetzt nun mal so.“ Emotionsloser ist wohl nicht mal ein Wochenendeinkauf mit Tante Herta bei Penny. Da fehlen selbst mir die Worte, außer einem vielleicht: Unterirdisch.

Und sonst? Bayern schafft so gerade ein 2:1 gegen die Eisernen von Union, Paderborn holt die ersten drei Punkte überhaupt (gegen Düsseldorf), Gladbach schlägt Frankfurt klar (was ich mal so gar nicht getippt hatte) und Freiburg gewinnt tatsächlich gegen Leipzig (2:1), wer hätte das gedacht. Gedacht wird im Übrigen oft an Freiburgs Trainer Streich, und zwar in den Fan-Foren der Dortmunder. Den würde auch ich fürs Traineramt sofort nehmen, der Mann ist Klasse, aber warum sollte er zu uns wechseln? Wegen Geld? Kann ich mir im Leben nicht vorstellen.

Für mich war der Tag gelaufen, keine/r der 13 angefragten Freundinnen und Freunde wollte mich zum „Tag der Toten“ ins Hafengebiet begleiten, einer bunten, mexikanischen Totenfeier mit Buffet, Musik und Dollerei. Schade eigentlich. Hätte gut zum BVB gepasst, so ein Tag der Toten. Aber dank des morgendlichen Laubaufklaubens hatte ich eh garstige Rückenschmerzen. Also eher so unterhalb des Rückens. So mehr: Unterirdisch.

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"Unterirdisch", UZ vom 1. November 2019



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