Unter richtiger Flagge

Lena Kreymann: Nina, du warst vier Jahre Chefredakteurin der Wochenzeitung „Unsere Zeit“. Was heißt es denn, in diesem Land als Chefredakteurin für eine sozialistische Zeitung tätig zu sein?

Nina Hager: Das war eine große Verantwortung, auch wenn die UZ eine kleine Zeitung ist mit geringer Auflage. Sie ist eine leise Stimme im Konzert der Medien und ihre Aufgabe war und ist es, diese möglichst weit hörbar zu machen. Das versuchen wir einerseits über Inhalte, indem wir mit klugen Argumenten zu überzeugen versuchen, und andererseits über größere Verteilaktionen wie zum Beispiel zum 1. Mai.

Was die journalistische Arbeit betrifft, so treffen wir von der UZ durchaus auf Widerstand, wenn wir uns zum Beispiel bei Gerichtsprozessen als Journalisten akkreditieren oder Informationen haben wollen. Ich habe das selbst erlebt, als ich mich in den 90er Jahren beim zweiten Prozess gegen das SED-Politbüro zur Urteilsverkündung akkreditieren lassen wollte. Da wurde mir gesagt: „Sie von der UZ doch nicht!“

Uns werden die normalen Zugänge, die Journalisten haben, oftmals verwehrt. Wir hatten und haben jedoch immer auch Mittel und Wege, wie wir diese Blockadehaltung umgehen können.

Lena Kreymann: Du bist gelernte Physikerin und Philosophin und hast u. a. an der Humboldt-Universität in Berlin gelehrt. Wie war dein Weg in den Journalismus?

Nina Hager: Ein direkter Sprung ins tiefe Wasser. Ich habe in den 90ern angefangen, für die UZ aus Berlin zu berichten, habe dann einige Zeit, als die „junge Welt“ aufgrund innerer Auseinandersetzungen in der Krise war, unter männlichem Pseudonym auch für die „junge Welt“ geschrieben. Aber gelernt habe ich das journalistische Schreiben durch das Schreiben selbst.

So hat es mir die Schriftstellerin Gisela Steineckert auch mit auf den Weg gegeben. Sie sagte mir, dass ich nur besser werde können, wenn ich weiterschreibe, und dass ich, desto mehr ich schreiben würde, auch lernen würde mich besser auszudrücken. Das habe ich probiert.

Lena Kreymann: Lucas, du hast gesagt, UZ-Chefredakteur zu werden, sei „ein Traumjob“. Diese Aussage finde ich erstaunlich. Wie kommst du dazu?

Lucas Zeise: Warum erstaunlich? Ist doch kein schlechter Job.

Ich habe nicht damit gerechnet, überhaupt gefragt zu werden. Ich bin ja ein richtiger Wessi und habe bei bürgerlichen Zeitungen gearbeitet. Für mich ist es selbstverständlich, dass Marxisten keine Chefredakteure werden, die UZ ist da eine erfreuliche Ausnahme.

Ich habe mich dafür entschieden, den Posten des Chefredakteurs zu übernehmen, weil es eine große Herausforderung ist und weil ich das Gefühl habe, dass ich nun viel stärker politisch tätig sein kann als das bisher der Fall war. Als Kommunist habe ich nur unter Pseudonym schreiben können – übrigens im Gegensatz zu Nina unter einem weiblichen.

Es ist richtig, was Nina gesagt hat. Es ist viel leichter, Zugang zu bekommen zu Informationen, wenn man, wie ich das gemacht habe, für die Financial Times Deutschland oder die Börsen-Zeitung schreibt. Wenn man zum Beispiel bei der Deutschen Bank anruft, genießt man sofort Vertrauen. Da fällt das Recherchieren leichter. Aber es ist viel schwerer zu schreiben.

Bei der UZ habe ich jetzt ein dreimonatiges „Praktikum“ hinter mir und fühle mich in der Lage, die Aufgabe als Chefredakteur zu übernehmen. Und ich freue mich darauf.

Lena Kreymann: Kannst du denn aus deiner Zeit bei der Börsen-Zeitung oder der Financial Times Deutschland etwas mitnehmen für die UZ?

Lucas Zeise: Die UZ sieht in mancher Beziehung der Financial Times Deutschland sogar ähnlich. Das ist die formale Seite, inhaltlich ist die Sache eine ganz andere.

Im bürgerlichen Journalismus kann man schon viel lernen, es ist aber auch viel Mist dabei.

Lena Kreymann: Wir Kommunistinnen und Kommunisten wollen die Welt verändern. Was kann eine Zeitung wie die UZ dazu beitragen?

Nina Hager: Die UZ darf sich nicht nur an DKP-Mitglieder wenden. Sie muss sich vor allem nach außen richten und dafür sorgen, dass wir mit anderen in den Dialog treten.

Die „junge Welt“ hat den schönen Spruch: „Sie lügen wie gedruckt, wir drucken wie sie lügen“. Das ist ein Anspruch auch für uns.

Lucas Zeise: Die UZ muss für Genossen wie Nicht-Genossen einen Gebrauchswert haben. Den Imperialismus als System zu erkennen, ganz konkret und an möglichst vielen Stellen, dafür ist eine Zeitung wie unsere unglaublich wichtig. Es braucht eine Lektüre, die Hinweise gibt, was der Gegner vorhat. Nur dann sind wir in der Lage uns angemessen zu organisieren.

Lena Kreymann: Die UZ ist auch eine Parteizeitung. Wie äußert sich das?

Nina Hager: Das schwierigste ist sicherlich, strittige Fragen in der Partei in der Zeitung abzubilden. Da muss anders herangegangen werden. Wenn man sich gegenübersitzt, laufen Debatten anders …

Zunächst einmal profitieren wir aber davon, dass uns Genossinnen und Genossen Beiträge schreiben, Fotos schicken und uns somit unterstützen. Da haben wir sogar noch viel ungenutztes Potential. Es ist aber nicht überall selbstverständlich, dass die UZ „unsere“ Zeitung ist und sie entsprechend genutzt werden kann. Diskussionen über Parteifragen in der UZ zu führen, ist aber sehr schwierig, das gelingt uns bislang kaum.

Lucas Zeise: Eine Diskussion möchte ich in der Partei und in der UZ stärker führen, und das ist die Diskussion um die Strategie der DKP. Wir führen diese Diskussion laufend. Aber die Schwäche in diesem Punkt ist auch eine Schwäche der Partei, nämlich dass wir keine ausgebaute Strategie haben und diese erst noch entwickeln müssen.

Lena Kreymann: Nina hat bereits gesagt, dass die UZ nicht gerade die auflagenstärkste Zeitung ist. Warum sollten Menschen die UZ abonnieren, wie kann sie eine höhere Auflage erreichen?

Lucas Zeise: Sie wird dann gelesen, wenn sie nützlich ist. Sie ist dann nützlich, wenn sie etwas bringt, was interessant ist und sonst so nirgendwo anders zu lesen ist. Dann ist die UZ gut zu gebrauchen. Nur wenn das erfüllt wird, hat sie eine Existenzberechtigung.

Wir müssen die UZ so machen, dass sie einen wirklichen Erkenntnisgewinn für die Leser darstellt.

„Erkennt den Imperialismus, der euch beherrscht“, das ist die Parole, die nicht gedruckt, aber real oben drüber steht, gleich neben „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“.

Nina Hager: Aber ohne Sozialismuspropaganda, das heißt ohne das Eintreten für den Kampf um die grundlegende Veränderung der heutigen Verhältnisse, den Bruch damit, wird es nicht gehen.

Das Gespräch fand am 1. Juli auf dem Pressefest statt.

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"Unter richtiger Flagge", UZ vom 8. Juli 2016



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