„Es gibt kein linkes Lager mehr“, sagt die Linkspartei auf ihrem Parteitag in Magdeburg. Sie reagiert mit radikalen Worten.
Ein amputiertes Bein kann schmerzen. Eine amputierte Hoffnung auf einen Ministersessel auch. Die Partei „Die Linke“ hat auf ihrem Parteitag am vergangenen Wochenende in Magdeburg festgestellt, dass sie im Moment keine bundesweite Regierungsoption mit SPD und Grünen sieht – SPD und Grüne wollen nicht, auch die Umfragewerte legen nahe, dass ein rot-rot-grünes Bündnis bei den Bundestagswahlen im nächsten Jahr weit von einer Mehrheit entfernt sein wird. „Das tut einem kleineren Teil der Partei sehr weh“, sagt der stellvertretende Parteivorsitzende Tobias Pflüger gegenüber der UZ, „weil dieser Teil nur auf Regierungsbeteiligungen gesetzt hat.“ Wulf Gallert hat mit diesem Kurs im März die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt verloren. Die Plakate des inhaltsleeren Wahlkampfs signiert er am Infostand: Für Luise. Wulf Gallert, Frauenversteher.
Der alte und neue Parteivorsitzende Bernd Riexinger wiederholt in seiner Rede, was er schon zuvor gemeinsam mit Katja Kipping in einem Strategiepapier formuliert hatte: „Wir haben seit Jahren kein linkes Lager der Parteien.“ Applaus. Die Formel: „Es gibt kein linkes Lager“ wollen linke Delegierte als Absage an den Kurs auf Regierungsbeteiligungen sehen und damit als Ausgangspunkt für stärker antikapitalistische Politik der Linkspartei. „Da würde ich nicht klatschen“, sagt Riexinger. „Ihr müsst nicht glauben, dass mich das freut – im Gegenteil.“ Friedrich Rabe, der als Mitglied der Kommunistischen Plattform (KPF) dem Parteitagspräsidium angehört, sagt im Gespräch mit UZ: Die Formel vom linken Lager, das es nicht mehr gebe, „beschreibt einen Phantomschmerz“.
Diese Formel ist der Ausdruck des neuen Kompromisses, den die innerparteilichen Strömungen in den letzten Monaten ausgehandelt haben, und sie ist offen für unterschiedliche Interpretationen. Die beiden Parteivorsitzenden, so Tobias Pflüger, verbinden mit dieser Formel keine Absage an Regierungsbeteiligungen. Auch Bodo Ramelow, der Thüringer Ministerpräsident einer rot-rot-grünen Regierung, schreibt in der Rede, die er eigentlich auf dem Parteitag hätte halten sollen: Es gebe kein rot-rot-grünes Lager.
Bodo Ramelow ist nicht zum Parteitag gekommen. Er lässt sich von der Thüringer Partei- und Fraktionsvorsitzenden Susanne Henning-Wellsow vertreten und ausrichten, dass er krank sei – der Arzt habe ihm das Sprechen verboten. Das hindert ihn nicht daran, am Samstagmorgen den 25. Thüringer Wandertag als Schirmherr zu eröffnen.
Dass auch in Thüringen die Behörden Flüchtlinge abschieben, kritisieren einige Redebeiträge und Zwischenrufe bei der Rede Henning-Wellsows. In seiner nicht gehaltenen Rede betont Ramelow, „dass unser Gewissen rein ist“, weil auch seine Regierung daran gebunden sei, „geltendes Recht zu vollziehen“ – „jede einzelne dieser Abschiebungen empfinde ich als Niederlage“. Die Thüringer Landtagsabgeordnete Johanna Scheringer-Wright schätzt gegenüber UZ ein, dass die Landesregierung nicht alle vorhandenen Spielräume nutze, um Abschiebungen auch ohne Recht zu brechen zu verhindern. „Von einer Regierung, in der die Partei,Die Linke‘ den Ministerpräsidenten stellt, erwarte ich mir spürbare Verbesserungen“, so Scheringer-Wright, „und die gibt es nicht in ausreichendem Maße.“
Gegen den Schmerz der fehlenden Regierungsoption können radikale Worte helfen. „Die sozialistische Utopie lebt in unser aller Herzen“, darauf legt Henning-Wellsow wert. In ihrer Vorstellung zur Wahl der Parteivorsitzenden nennt Katja Kipping ihre „persönliche Richtschnur“: „Revolutionäre Realpolitik, wie Rosa Luxemburg das genannt hat“ (die damit allerdings meinte, die tägliche Kleinarbeit der Arbeiterpartei dem Ziel der sozialistischen Revolution unterzuordnen). Riexinger wiederholt, dass die Linkspartei „für eine Revolution der Gerechtigkeit“ kämpfe. „Ist das nicht zu radikal?“ Die neoliberale Politik könne man nicht „in Tippelschritten rückgängig“ machen, die Partei brauche „revolutionäre Geduld – aber wir brauchen auch revolutionäre Ungeduld“. Das Wort „Revolution“ fällt oft auf diesem Parteitag. Einige vom linke Parteiflügel hoffen, das Wort mit Inhalt füllen zu können: Eine Umwälzung der kapitalistischen Eigentums- und Machtverhältnisse statt eines „Politikwechsels“ weg vom Neoliberalismus.
Die Medienberichte über den Parteitag waren im Vorfeld geprägt davon, dass Gregor Gysi seiner Partei unterstellte, sie sei „saft- und kraftlos“, weil sie den Eindruck vermittele, sich nicht an der nächsten Bundesregierung zu beteiligen. Im Nachhinein stand im Mittelpunkt, dass ein Antideutscher Sahra Wagenknecht eine Torte ins Gesicht geworfen hatte. Die hatte im Januar mit Blick auf die Kölner Silvesternacht verkündet: „Wer Gastrecht missbraucht, der hat Gastrecht eben auch verwirkt.“ Das nahmen die Tortenwerfer zum Vorwand, um Wagenknecht mit Beatrix von Storch gleichzusetzen. Wagenknecht war für diese Äußerung auch in der eigenen Partei scharf kritisiert worden. Auf den Angriff reagierte die Partei mit dem Hinweis darauf, dass keiner ihrer Abgeordneten irgendeiner Verschärfung des Asylrechts zugestimmt habe.
Auf dem Parteitag selbst verlief die Debatte weniger kontrovers und polemisch als bei vergangenen Tagungen – der Parteitag sei vor allem „ein bisschen langweilig“, sagten Delegierte. Die bestehenden Kontroversen trug die Partei weniger in Debatten am Mikrofon und in Abstimmungen aus und mehr in Verhandlungen über Antragstexte im Vorfeld. Der Ton der Debatte in der Linkspartei ist sachlicher geworden – „Leute, die lange nicht miteinander geredet haben, reden nun miteinander“, erzählt Tobias Pflüger. Der Grund für diesen neuen Ton sei die neue, realistische Einschätzung, dass es im Moment keine unmittelbaren Möglichkeiten für Regierungskoalitionen gebe. „Das nimmt ein bisschen die Aufregung raus.“
2014, als die Linkspartei in Hamburg ihre Liste für die Wahl zum Europaparlament gewählt hatte, war die Aufregung größer. Tobias Pflüger wurde nicht als Kandidat aufgestellt. Dass die EU eine „neoliberale, militaristische und weithin undemokratische Macht“ ist, wollte die Mehrheit der Delegierten damals nicht im Wahlprogramm lesen. Nun schätzte der Parteitag ein: „Diese EU ist unsozial, undemokratisch und militaristisch.“ In der Ablehnung von Auslandseinsätzen und imperialistischen Kriegsbündnissen wird der beschlossene Leitantrag deutlicher als in der Vergangenheit. Andere kontroverse Fragen klammerten die Delegierten und die Dokumente weitgehend aus – die Einschätzung der Entwicklungen in Griechenland und der griechischen Schwesterpartei Syriza spielte fast keine Rolle, die Formel vom linken Lager lässt Interpretationsspielräume. Bei der Wahl zum Parteivorstand konnten sich einige Vertreter der Parteilinken gegen ihre Mitbewerber durchsetzen. Die Linken in der Linkspartei bewerten den Parteitag vorsichtig positiv: „Besser als gar nichts“ sei es gewesen, der Parteitag habe eine „gelinde Linkswende“ gebracht. Eine nüchterne Einschätzung der eigenen Möglichkeiten und Kompromissformeln, radikale Worte und einige linke Akzente – das war der Parteitag in Magdeburg.