Am 1. September wurde die Industriegewerkschaft Metall 75 Jahre alt. Eigentlich ist sie natürlich viel älter. Schon im Jahr 1891 gründete sich mit dem Deutschen Metallarbeiter-Verband (DMV) eine der wichtigsten Vorläuferorganisation der heutigen IG Metall. Unter der faschistischen Herrschaft wurden 1933 alle Gewerkschaften zerschlagen. Viele Gewerkschafter wurden umgebracht, in Gefängnissen und Konzentrationslagern gefoltert, oft bis zum Tode.
Erst 1949, über vier Jahre nach Kriegsende, wurde die IG Metall offiziell gegründet. Am 1. September schlossen sich die verschiedenen IG-Metall-Verbände aus der britischen, der US-amerikanischen und der französischen Besatzungszone zusammen. Die Metaller in der sowjetischen Besatzungszone wurden Teil des Freien Deutschen Gewerkschaftsbunds (FDGB).
Nach dem Ende des 2. Weltkrieges kam es zum raschen Aufbau betrieblicher und gewerkschaftlicher Strukturen. Die alten Funktionäre der Arbeiterbewegung, Kommunisten und Sozialdemokraten, ergriffen die Initiative zur Selbstorganisation in den Betrieben und auf örtlicher Ebene. Betriebs- und Arbeiterräte wurden aufgebaut. Bei Daimler in Untertürkheim wurde nach Kriegsende als erstes ein Arbeiterrat aufgebaut, aus dem im März 1946 der Betriebsrat hervorging. Die Betriebsräte wurden von Anfang an als „gewerkschaftliche Betriebsräte“ verstanden. Damit stießen sie auf den Widerstand der Besatzer in den Westzonen, die den Betriebsräten genau diesen Status versagten.
In den Städten wurden relativ zügig nach Kriegsende örtliche Strukturen aufgebaut. So bildeten sich zum Beispiel in Stuttgart bereits ab Mai 1945 betriebsübergreifende gewerkschaftliche Fachgruppen – Vorläufer der Einzelgewerkschaften. Die Fachgruppen schlossen sich zu einem Ortskartell zusammen. Die offiziellen Neugründungen diverser Gremien ging anfangs nur in kleinen, von den kapitalistischen Besatzungsmächten zu genehmigenden Schritten voran: erst örtlich, dann regional, zonal, dann bizonal (britische und amerikanische Zone) und dauerte aufgrund der Behinderungen über vier Jahre. Für alles war die Genehmigung der westlichen Besatzungsmächte notwendig – und die hatten kein Interesse an Gewerkschaften.
In der Arbeiterbewegung gab es viele Diskussionen um Grundfragen der Orientierung beim Aufbau der Gewerkschaften. Es wurden aus den Erfahrungen der Niederlage der Arbeiterbewegung gegen den Faschismus die entsprechenden Konsequenzen gezogen. Der Aufbau erfolgte deshalb nach dem Prinzip der Einheitsgewerkschaft, die allen Beschäftigten offen standen, ohne Rücksicht auf ihre politische und konfessionelle Überzeugung. Außerdem fanden Arbeiter und Angestellte gleichermaßen in den neuen deutschen Gewerkschaften ihre gemeinsame Heimat.
Der Aufbau erfolgte unter extrem schwierigen Bedingungen. Die kapitalistischen Militärregierungen hatten Lohnstopp und Streikverbot des Faschismus aufrechterhalten. Sie versuchten, den Aufbau zu kontrollieren und zu bremsen. Jede Versammlung musste genehmigt, jedes Blatt Papier beschafft werden. Es gab keine oder kaum Versammlungsräume. Überall herrschte Mangel an allem. Außerdem waren die Werktätigen vom Krieg ausgezehrt. Sie hungerten, die Lebensmittel waren rationiert. Trotzdem sollten – bei Hungerlöhnen und langen Arbeitszeiten – die Fabrikhallen wieder aufgebaut, die Produktion in Gang gesetzt werden.
Angesichts dieser katastrophalen Lage kam es immer wieder zu Proteststreiks gegen den Hunger, für höhere Löhne, größere Essensrationen, kürzere Arbeitszeiten und gegen die Demontage von Fabriken, die zumindest teilweise erfolgreich waren. In den Betrieben hatten sich die Arbeiter durch ihre Streiks und den Druck der Arbeiter- und Betriebsräte ein Stück Arbeiterkontrolle erkämpft. Im Mai 1947 setzten zum Beispiel die Daimler-Arbeiter eine Betriebsvereinbarung durch, die dem Betriebsrat weitgehende Mitwirkungsrechte einräumte.
Im April 1948 versammelten sich Betriebsräte bei Bosch und Vertreter der Metallgewerkschaft und verabschiedeten eine Entschließung, in der stand: „Die Betriebsräte der Robert-Bosch-Werke sehen die Sicherung des Friedens nicht in einer Zerreißung der Bosch-Betriebe, sondern in der Kontrolle durch die Öffentlichkeit in Form der Überführung in die Hände der Allgemeinheit.“ Solche Beschlüsse beeinflussten die gesellschaftliche Stimmung. Kommunisten und andere Betriebsaktive sahen in den erkämpften Rechten eine erste Etappe hin zu einer völligen Kontrolle der Arbeiterklasse über die Wirtschaft.
In den Betrieben betrachteten die Betriebsräte und alle Antifaschisten die Entnazifizierung als eine ihrer ersten Aufgaben. Da oft die gesamte Führungsriege Nazis waren, bei Bosch waren zum Beispiel 73 Prozent der Vorgesetzten NSDAP-Mitglieder, war die Frage der Entnazifizierung in den ersten Jahren Anlass für harte Auseinandersetzungen zwischen Geschäftsleitung und Betriebsräten.
Ein weiteres wichtiges Thema war der Kampf um mehr Mitwirkungsrechte. Über ein neues Betriebsrätegesetz sollten die in einigen Großbetrieben erkämpften Mitbestimmungsrechte abgesichert, weitere Rechte durchgesetzt und für alle Betriebe garantiert werden. Ausgehend von diesen gewerkschaftlichen Forderungen hatte zum Beispiel der württembergische KPD-Arbeitsminister Kohl einen Entwurf erarbeitet. Als das Gesetz im Sommer 1948 verabschiedet wurde, hatte es aber jede inhaltliche Ähnlichkeit mit dem ursprünglichen Entwurf verloren. Und die Paragrafen, die den Betriebsräten Mitspracherecht gaben, wurden von der Militärregierung verboten. Arbeitsminister Kohl wurde entlassen. KPD-Mitglieder waren in Regierungspositionen nicht mehr erwünscht. Das Betriebsrätegesetz konnte allerdings in Betrieben, die bessere Vereinbarungen hatten – wie Daimler oder Bosch –, nicht durchgesetzt werden. Dort war die Kraft der Arbeiterklasse stark genug, erkämpfte Errungenschaften zu erhalten.
Diese Kraft ließ allerdings nach, auch deshalb, weil Kommunisten aus Betriebsräten und Gewerkschaften entfernt wurden. Dies begann bereits Ende der 1940er Jahre und schränkte den Einfluss auf die politische Linie der IG Metall ein. Radikale Forderungen zur Umgestaltung der Gesellschaft traten in den Hintergrund. Klassengegensätze wurden zunehmend geleugnet. Die Sozialpartnerschaft setzte sich als gewerkschaftliche Linie durch. Von parteipolitischer Neutralität konnte nicht mehr gesprochen werden – die Sozialdemokratie wurde die führende Kraft, nachdem viele Kommunisten, die maßgeblich am Aufbau der betrieblichen und gewerkschaftlichen Gremien nach Kriegsende beteiligt waren, aus den Gewerkschaften gedrängt worden waren.
Wesentliche Errungenschaften der IG Metall sind die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Fünftagewoche, 35-Stunden-Woche, Urlaubs- und Weihnachtsgeld. In den ersten Jahrzehnten positionierte sich die IG Metall durchaus gegen die Remilitarisierung, Notstandsgesetze, Atomwaffen und Stationierung von Mittelstreckenraketen. In der Erklärung der IG Metall zum 75. Jahrestag taucht das Wort „Frieden“ nicht einmal auf.