„Pulse of Europe“ bringt Zehntausende auf die Straße. Wofür?

Unter der Flagge der EU

Von Nina Hager

„Pulse of Europe“ bewegt. Es sind junge Leute, aber auch ältere, gutsituierte, die jeden Sonntag ab 14 Uhr in vielen Städten unter der EU-Flagge „für Europa“ demons­trieren. Als bestünde Europa nur aus den Staaten der EU. Unter ihnen sind „Europa-Fans“, aber auch Kritiker wie die der Initiative „The European Moment“, die Veränderungen wie unter anderem eine „solidarische und gerechte Wirtschafts- und Sozialpolitik“ einfordern. Viele treibt auch die Angst um die Zukunft, die Furcht vor Nationalismus, Rechtsentwicklung, Abschottung, den Zerfall der EU und die möglichen Folgen auf die Straße. Diese Sorgen sind durchaus berechtigt – aber es sind ja vor allem die Politik und Entwicklung der EU, die zum Erstarken der Rechtspopulisten und Nationalisten führten …

Auf die Idee die Bewegung „Pulse of Europe“ zu gründen, kamen im November des vergangenen Jahres nach der Abstimmung über den Brexit, der Wahl Trumps als US-Präsident und angesichts des Erstarkens der Rechten in Europa – so die Medien – der Frankfurter Rechtsanwalt Dr. Daniel Röder und seine Frau Sabine, gleichfalls Anwältin. Zuerst sprachen sie per E-Mail Freunde und Bekannte an. „An der rasanten Radikalisierung des politischen Lebens wirkt vieles bedrohlich“, schrieb Röder damals. Und mit Verweis auf die Wahlen in den Niederlanden im März 2017, die Präsidentschaftswahlen in Frankreich im Mai und die Bundestagswahlen im September: „Wir wollen einen Beitrag dazu leisten, dass es auch danach noch ein vereintes, demokratisches Europa gibt.“

Man einigte sich damals in jenem Kreis auf zehn sehr allgemeine Grundthesen, die man auf der Webseite „pulseofeurope.eu“ nachlesen kann. Ob das die Mehrheit der Demonstranten auch getan hat?

Wofür steht die Initiative, die von Merkel, Steinmeier, Özedemir u. a. gelobt wird? Ralf Krämer, Gewerkschaftssekretär, Mitglied des Parteivorstandes der Linkspartei und einer der Bundessprecher der Strömung Sozialistische Linke“, verwies am vergangenen Freitag in der Zeitung „Neues Deutschland“ zu Recht darauf, dass in den Thesen der Initiative „völlig kritiklos ein Positivbild von einem ‚vereinten, demokratischen Europa‘ gemalt“ werde, „in dem angeblich die Achtung der Menschenwürde, die Rechtsstaatlichkeit, Toleranz und Respekt selbstverständliche Grundlage des Gemeinwesens sind“. Die Europäische Union sei „in erster Linie ein Bündnis zur Sicherung des Friedens“. Unter der sechsten Grundthese „Die europäischen Grundfreiheiten sind nicht verhandelbar“ steht: „Personenfreizügigkeit, freier Warenverkehr, freier Zahlungsverkehr und Dienstleistungsfreiheit – die europäischen Grundfreiheiten – sind historische Errungenschaften, die aus Nationalstaaten eine Gemeinschaft gemacht haben. Sie sichern individuelle Freiheit und Wohlstand. Eine Beschneidung der Grundfreiheiten würde dramatische wirtschaftliche und persönliche Folgen auslösen … Sonderwege und Ausnahmen führen zu einer Erosion der Gemeinschaft.“ Für Krämer ist das „purer Neoliberalismus“. Auch haben viele Millionen Menschen, „die durch die Eurokrise und eine von Troika und Europäischer Union erzwungene Austeritätspolitik in Armut gestürzt wurden, … ganz andere Erfahrungen gemacht.“ Weder die zunehmende Militarisierung der Union, ihr menschenverachtender Umgang mit Flüchtlingen, noch ihre Handelspolitik zugunsten der Konzerne und auf Kosten der Menschen in Afrika werden erwähnt.

Auch Reformforderungen bleiben völlig vage. Auf „pulseofeurope.eu“ heißt es nur: „Europa muss erhalten werden, damit es verbessert werden kann. Die europäische Idee muss wieder verständlicher und bürgernäher werden. Sie muss von unten nach oben getragen werden. Europa soll wieder Freude bereiten. Wer austritt, kann nicht mitgestalten.“

Doch „Pulse of Europe“ ist erfolgreich. Vor etwa zwei, drei Monaten kamen in Frankfurt am Main nur einige Hundert. Jetzt gehen jeden Sonntag Zehntausende auf die Straße. Am vergangenen Wochenende gab es Demonstrationen und Kundgebungen in mehr als 60 Städten und insgesamt zwölf Ländern der Europäischen Union. Allein in Berlin kamen nach Angaben der dortigen Veranstalter um die 6 000.

„Pulse of Europe“ ist so erfolgreich, dass man jetzt nicht nur Spenden erhält, sondern mittlerweile am Montag eine provisorische Geschäftsstelle in Frankfurt am Main beziehen konnte. Kritiker fragen, ob da nicht auch Geld von großen Unternehmen fließt. Die große Werbeagentur Scholz & Friends hat jedenfalls „pro bono“, also ‚zum Wohle der Öffentlichkeit‘, für „Pulse of Europe“ ein Logo entworfen. Übrigens: Röder ist Fachanwalt in der großen Anwaltskanzlei Greenfort, die unter anderem deutsche und internationale Unternehmen sowie Top-Führungskräfte in allen Fragen des Arbeitsrechts berät.

Eine Bewegung ist entstanden, der einige Kritiker allerdings „keine lange Haltbarkeit“ geben: Zu allgemein, zu ungenau seien die Forderungen von „Pulse of Europa“, um einen Weg für die Zukunft zu öffnen, meinen die einen, andere, dass hier vor allem – vielen Beteiligten gar nicht bewusst – für das Europa des Kapitals demonstriert werde und dort linke Kritik an der Europäischen Union offenbar unerwünscht ist. Trotzdem, meint Krämer, sei es für Linke nötig, das weiter zu versuchen, aufzuklären, „Positionen und Argumente an die Menschen (zu) bringen“.

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"Unter der Flagge der EU", UZ vom 7. April 2017



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