Mit weit über 100 000 TeilnehmerInnen fand am 30. Juni in Wien die größte Demonstration seit den gewerkschaftlichen Protesten gegen die Pensionskürzungen im Jahr 2003 (unter der ersten ÖVP-FPÖ-Regierung) statt. Unzählige Busse und Sonderzüge aus allen Teilen Österreichs kamen am Westbahnhof an, wo sich die Straßen so schnell füllten, dass die Demo früher als geplant losgehen musste, um den Nachkommenden wieder Platz zu machen.
Auf vielfältige Weise brachten die Demonstrantinnen und Demonstranten zum Ausdruck, dass sie kampfentschlossen sind. Neben den massenhaft zur Verfügung gestellten Gewerkschaftstafeln, auf denen eine durchgestrichene 12 abgebildet war, gabe es auch selbstgebastelte Schilder von Alleinerziehenden, Jugendlichen in Paulchen-Panther-Kostümen („Wer hat an der Uhr gedreht?!“) und Hochofenarbeiter in Arbeitsschutzmontur.
Stundenlang zogen Betriebsdelegationen, Bundesländerblöcke, Gewerkschaftsabordnungen durch die Stadt, und natürlich auch jene von kommunistischen und linken Organisationen, die – von tausenden Beschäftigten lautstark mitgetragen – mit Nachdruck die Forderung nach konsequentem Streik und dem Kampf für Arbeitszeitverkürzung auf die Straße trugen.
Bereits am 5. Juli soll das neue Arbeitszeitgesetz im Parlament durchgepeitscht werden und am 1. Januar 2019 in Kraft treten.
Der Zorn auf die Vorhaben der Bundesregierung, der Einführung von 12-Stunden-Tag, 60-Stunden-Woche, dem Verlust von Zuschlägen und dem gesetzlichen Ausbooten von Betriebsräten und Gewerkschaften verleitete sogar einen Gewerkschaftsvorsitzenden bei der Schlusskundgebung am historischen Heldenplatz zu dem Aufruf, die unsoziale und ungerechte Regierung „zu stürzen“ – was jedoch vom gerade frisch gekürten Chef des österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB), Wolfgang Katzian, sofort abgewiegelt wurde.
Doch auch er sprach – samt Forderung nach einer Volksabstimmung – davon, dass diese Demo, für die quer durch Österreich in hunderten Betriebsversammlungen mobilisiert wurde, nicht Endpunkt, sondern Auftakt des Protests sein solle.
Als weitere Kampfmaßnahme legten Montag früh die EisenbahnerInnen und weitere Beschäftigte von Nahverkehrsunternehmen die Arbeit nieder – im Frühverkehr durch 200 Versammlungen, die österreichweit abgehalten wurden. Auch in den großen Industrie- und Schlüsselbetrieben wie voestalpine, Böhler, OMV, Andritz und anderen wurden diese Woche Betriebsversammlungen abgehalten.
In den hunderten betrieblichen Foren der Arbeitenden wurden ÖGB-Resolutionen beschlossen, die u.a. beinhalteten: „Wir werden uns alles, was den ArbeitnehmerInnen weggenommen wird, auf der betrieblichen Ebene und bei den anstehenden Kollektivvertragsverhandlungen zurückholen.“ Dazu hat die hochorganisierte (und einheitliche) Bahngewerkschaft die laufenden Tarifvertragsverhandlungen unterbrochen, um diese erst parallel zu den September/Oktober beginnenden Metall-Verhandlungen wieder aufzunehmen und damit eine Kampfgemeinschaft mit der potentesten Branchengewerkschaft zu bilden.
Zu diesem Zeitpunkt sind schließlich durch die EU-Ratspräsidentschaft auch alle Blicke auf Österreich gerichtet, wo in einem heißen Herbst das Land stillgelegt werden könnte. Und in der Tat: Die Gewerkschaften hätten es noch in der Hand, das Gesetz für die übergroße Mehrheit der Beschäftigten auszuhebeln, indem ein General-Tarifvertrag zu den Arbeitszeitthemen erkämpft wird – in Österreich besteht derzeit eine Kollektivvertrags-Deckung von rund 98 Prozent.
Zu befürchten ist jedoch, dass es zwar zu – für österreichische Verhältnisse – teils spektakulären und kraftvollen Maßnahmen kommt, diese jedoch, wenn sie nicht in die Breite und Tiefe getragen und zu unausweichlichen harten, branchenübergreifenden Arbeitskämpfen und Streiks fortentwickelt werden, nur symbolischer Natur bleiben und in sozialpartnerschaftlicher Manier und Verrat der gewerkschaftlichen Klassenfunktion versanden.