Zur Fleischindustrie

Unsichtbare Sklaven

Das ist nun wirklich dumm. Jahrzehntelang haben alle Verantwortlichen weggeschaut – wie die berühmten drei Affen. Und nun kommt Corona. Und plötzlich stehen die skandalösen Zustände in der Fleischindustrie und ihrer willigen Sub- und Sub-Sub-Unternehmen im Rampenlicht. Nun ließen sich Kontrollen beim besten Willen nicht mehr vermeiden. Bei der Firma Westfleisch wurden 250 Beschäftigte positiv auf Covid-19 getestet. Natürlich ist es in den engen, überfüllten Barackenunterkünften der Billigstjobber aus Südosteuropa mit „Social Distancing“ nicht weit her. Bei vier Menschen in einem Raum hat das Virus leichtes Spiel. Nun, wo die miesen Arbeits-, Wohn- und Lebensverhältnisse der Arbeitssklaven der Tönnies und Co. ursächlich für eine lokale Corona-Explosion geworden sind, schaffen es die von den selbstgerechten Berliner Menschenrechtsaposteln so blendend Ignorierten (für vermutlich kurze Zeit) über den Horizont des medialen Nicht-Wahrnehmenwollens. Das Virus bleibt nicht in den Arbeiterbaracken.

Grillkoteletts, das Kilo für 4,49 Euro – so in etwa sehen die Produkte aus, die hier im Akkord produziert werden. Der Neoliberalismus diktiert den Marsch zu den niedrigsten Standards. Das gilt für die Löhne und die sozialen Verhältnisse, das gilt aber auch für die Lebensmittelproduktion. Die Jagd nach dem Maximalprofit hat eine biotechnologische und pharmatechnische Agro-Industrie und ein biologisch-chemisches Verarbeitungsbusiness hervor gebracht, die mit der Produktion gesunder und nährstoffreicher Lebensmittel nicht mehr viel zu tun haben. Genmais oder Soja-Futtermittel aus Brasiliens ehemaligem Regenwald, Glyphosat, Turboschweine und -Kühe, krankes Geflügel, gigantische Zuchtfabriken, die nur durch den prophylaktischen Einsatz von Antibiotika betrieben werden können, eine das Grundwasser gefährdende Gülleflut, eine unübersehbare Menge von Geschmacksverstärkern, Konservierungs- und Zusatzstoffen etc. pp. Und eben einer großindustriellen Schlachtindustrie, die Tiere wie Arbeiter in ein Höchstmaß von Stress und Druck versetzt. Stress, der das Schlachtfleisch hormonell noch weiter verschlechtert und der die Akkordarbeiter frühzeitig ruiniert. Die Schlachtindustrie drückt auch die Preise der Erzeuger. Man will selbst in China konkurrenzfähig sein.

Nicht einmal die durch den permanenten Pharmaeinsatz bedingte Entwicklung multiresistenter Keime und die grauenhafte Perspektive, zu einer Lage vor der Entdeckung des Penicillins zu gelangen, bewirken ein Umdenken. Von den Giganten der Lebensmittelindustrie wird billiges Junk-Food in den Markt gedrückt, das sich auch ein Mensch leisten können soll, der von der Berliner Regierungsmafia auf Hartz-IV-Niveau und damit unter das Existenzminimum gedrückt wird. Es ist die gleiche Regierungsmafia, die für Tönnies und Co. den Arbeitssklaven-Zuhälter spielt. Wie in der Landwirtschaft die Spargelernte, ist auch die Massen-fleischproduktion ohne die billigen Arbeitssklaven nicht zu betreiben.

Auch ein Grund, warum die EU von Berlin so gepriesen wird: Ohne die billigen Arbeitssklaven aus dem Osten ließen sich auch die Löhne des deutschen „Prekariats“ nicht so weit drücken.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Unsichtbare Sklaven", UZ vom 15. Mai 2020



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Auto.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit