Regierungswechsel wird nur dem ausländischen Kapital nutzen

Unsicheres Armenien

Von Anton Latzo

Proteste auf dem Platz der Republik in Jerewan.

Proteste auf dem Platz der Republik in Jerewan.

( Ավետիսյան91/Wikipedia Commons / Lizenz: CC BY-SA 4.0)

In den letzten Wochen waren die Proteste Tausender in Jerewan und anderen Städten Armeniens ein wichtiger Gegenstand der Medien, denen zufolge sie gegen Korruption und Machtmissbrauch protestierten. Der Anlass war der Versuch des ehemaligen Staatspräsidenten, der laut Verfassung nur zwei Amtsperioden amtieren durfte, sich als Ministerpräsident mit erweiterter Macht zu installieren und sich in dieser Funktion über die Parlamentswahlen unbegrenzte Zeit zur Machtausübung einzuräumen.

Den Hintergrund bilden die wachsenden Widersprüche in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Die Folgen von Krieg, Krise und „Reformen“ zur Etablierung kapitalistischer Verhältnisse sind in der Gesellschaft ebenso sichtbar wie in der Politik und im täglichen Leben der Menschen. Die USA und die Großmächte der EU wollen diese Lage nutzen und in diesem Raum Fuß fassen.

Zu Sowjetzeiten war Armenien für seine Großchemie, den Maschinenbau, Aluminiumproduktion und die Textil-und Lederindustrie bekannt. Mit dem Zerfall der UdSSR kam das Kapital. Die Restauration des Kapitalismus verschleiernd, begann man mit „Reformen“, wozu Privatisierung, Eindringen ausländischen Kapitals, eigene Neureiche, Konkurrenz, Herrschaft von Kapital und Profit ebenso gehören, wie der auf diesem Boden erfolgende Zerfall der Wirtschaft, des Bildungs-, Gesundheits- und Sozialwesens, Arbeitslosigkeit usw. Die sozialen Widersprüche vertiefen sich. Der Unterschied zwischen Stadt und Land wird immer größer. Es werden so immer neue Widersprüche produziert.

Das von den Medien vermittelte Bild soll darüber hinwegtäuschen, dass sich die Schere zwischen den tatsächlichen Interessen des Volkes, den nationalstaatlichen Interessen Armeniens und den Interessen des ausländischen Kapitals, der imperialistischen Mächte, immer weiter öffnet.

Das ist der Humus, auf dem sich vorhandene nationale Entwicklungsprobleme zu Widersprüchen entwickeln, die von interessierten Kräften ausgenutzt werden können, um die Öffentlichkeit zu manipulieren und eine solche gesellschaftliche und politische Instabilität herbeizuführen, die für die Durchsetzung imperialistischer Interessen und Ziele im Lande und in der Region dienlich ist.

Dazu werden sowohl NGOs, Parteien und Einzelpersönlichkeiten instrumentalisiert, wie es nicht zuletzt in der Ukraine sichtbar wurde. Als Oppositionsführer profilierte sich der 42-jährige Nikol Paschinjan, der Neuwahlen forderte und verlangte, dass der geschäftsführende Ministerpräsident ein Mann „aus dem Volke“ sein müsse, womit er sich selbst meinte. Paschinjan, regierungskritischer Journalist, wurde 2010 wegen angeblicher Anstiftung von Massenunruhen zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt, nach einem Jahr im Rahmen einer Amnestie aber freigelassen. Seit 2012 ist er Parlamentsabgeordneter und seit 2017 führt er die Parlamentsfraktion des liberalen Wahlbündnisses „Yelk“, das die Stimmen von 7 Prozent der Wähler erhielt.

Wichtige destruktive Kräfte werden in Verwirklichung der geostrategischen Interessen der imperialistischen Staaten geschaffen. Unter diesem Kapitel erhielt nach der Zerschlagung der UdSSR nur Israel von den USA mehr „Entwicklungshilfe“ pro Kopf als Armenien. Das Land gehört zu den zwanzig ausgesuchten Entwicklungsländern, die im Rahmen des „Millennium-Challenge-Programm“ des State Department Zuwendungen erhalten.

Deutschland und die anderen führenden EU-Staaten versuchen zum Beispiel mit der Politik der „östlichen Partnerschaft“ Armenien und die zumeist kleinen, aber geostrategisch wichtigen Staaten in den eigenen Orbit zu ziehen. Wie weit man bereit ist zu gehen, hat in erschreckender Weise die Entwicklung in der Ukraine gezeigt.

Es entspricht den Absichten der Westmächte, dass Paschinjan ein vehementer Gegner der Teilnahme Armeniens an der eurasischen Integration ist und den sofortigen Austritt aus dieser Organisation fordert. Ein offene antirussische Stoßrichtung der Demonstrationen wurde aber noch nicht sichtbar.

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"Unsicheres Armenien", UZ vom 4. Mai 2018



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