Sauber getrennt: Welches Marx-Gedenken hätten Sie gerne?

Unser Marx!

Von Olaf Matthes

Vor dem verhüllten Marx sitzen die Reihen der Ehrengäste. Während die Zuhörer endlich das Denkmal sehen wollen, halten die unvermeidlichen Reden: Der Oberbürgermeister und die Ministerpräsidentin, ein chinesischer Vizeminister und der chinesische Botschafter, der Bildhauer und der Trierer Baudezernent. Die Redner der deutschen Seite machen Marx‘ Ideen zu einer furchtbar komplexen Angelegenheit, die man keinesfalls in Schwarz-Weiß malen dürfe. Von diesen Ideen selbst haben sie nichts zu sagen – außer dem, was bürgerlichen Politikern am wichtigsten ist: Dass der Schritt von der theoretischen Kritik des Kapitalismus zu seiner praktischen Aufhebung immer eine schreckliche Menschenrechtsverletzung ist.

Der offizielle Tenor ist der liberale Antikommunismus: Marx soll vom Kommunismus getrennt werden. Vor dem Karl-Marx-Haus steht ein paar Stunden vor der Enthüllung hinter Polizeisperren und Menschenmenge Andrea Nahles. Sie darf dort reden, weil ihre Partei 1928 im Gegensatz zur KPD genug Geld hatte, um das Haus zu kaufen, heute eröffnet die Friedrich-Ebert-Stiftung dort eine neue Ausstellung. Und weil nun einmal Jubiläum ist, muss auch die SPD-Vorsitzende etwas zu Marx sagen: „Die Vereinnahmung von Marx und Engels für die Diktatur, nicht die Demokratie, lassen wir nicht unwidersprochen!“

Währenddessen demonstriert auch der aggressive Antikommunismus. „Marx vom Sockel holen!“ fordern die Plakate, die die AfD in der Stadt hat aufhängen lassen – mehr Plakate, als die AfD Demonstranten auf die Straße bringt. Ein linkes Bündnis, zu dem Falken und Grüne Jugend gehören, will gegen die AfD protestieren, mit Marx und den Kommunisten haben sie es nicht so – sie stellen sich getrennt von der vier mal so großen DKP-Demonstration auf. Ein Redner des Gegen-Rechts-Bündnisses verkündet: „In den marxistisch-leninistischen Staaten sind Marx‘ Vorstellungen oft verraten worden.“ Die Stadt Trier hätte das Marx-Denkmal nicht als Geschenk aus China annehmen, sondern selbst bezahlen sollen, „denn in China herrscht ein aggressiver Nationalismus“.

So differenziert und abwägend geht es bei der roten Demonstration nicht zu. Hier wehen rote Fahnen mit Hammer und Sichel, weil diese Demonstration Marx nicht trotz, sondern wegen der revolutionären Praxis ehren will. Bei der anschließenden Konferenz „Marx hat Zukunft“ führen die Referenten eine andere Art der Differenzierung vor. Drei ganz unterschiedliche Redner zeigen auf ganz unterschiedliche Weise, dass der Marxismus ein Instrument zum Interpretieren und Verändern der Welt ist. Der „junge Welt“-Journalist Daniel Bratanovic belegt in geschliffenen Sätzen, wie wenig das offizielle Gedenken mit Marx‘ Gedanken gemeinsam hat und zeigt auf, dass nur das marxistische Verständnis unserer Welt als Welt der Klassenkämpfe uns die Konflikte von heute verstehen lässt. Jan von Hagen, der für ver.di arbeitet, erzählt von den Kämpfen an den Krankenhäusern. Er zeigt, wie der Marxismus in der Praxis die Richtschnur sein kann, um diesen Kämpfen Kraft und Perspektive zu geben. Der kubanische Botschafter schließlich gibt einen Eindruck davon, wie der Marxismus die erfolgreichen Revolutionen der unterdrückten Völker möglich gemacht hat. „Marx sah in allem das, was er selbst in sich trug: Rebellion, Weg nach oben, Kampf“, so zitiert er José Martí, von dessen Kampf für die Unabhängigkeit Kubas er die Linie bis zur kubanischen Revolution und zum Aufbau des Sozialismus zieht.

Von Sperrgittern und Polizisten sorgfältig von der offiziellen Feier abgesondert laufen die Kommunisten auf den Simeonstiftplatz. Ihnen gegenüber, getrennt von der AfD, schimpft der NPD-Mann Safet Babic, sein Begleiter hält ein Schild: „Weg mit dem Schandmal des Materialismus!“ Am Megafon sagt der DKP-Vorsitzende Patrik Köbele, man könne genau so gut auf das Schild schreiben: „Weg mit dem Schandmal der Wahrheit“. Oder gleich: „Weg mit der Wahrheit.“ Und weil er wahr ist, ist der dialektische Materialismus eine Richtschnur für die Praxis. „Rot auf die Straße – das ist das beste Gedenken an Karl Marx“, sagt Patrik Köbele.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Unser Marx!", UZ vom 11. Mai 2018



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Flagge.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit