Am 18. Oktober verabschiedete der DGB-Bundesjugendausschuss eine „Israel-Resolution: Gegen den Terror“. Als Reaktion auf die blinde Solidarität mit Israel entstand ein offener Brief, der bisher von über 500 Gewerkschaftsaktiven unterzeichnet wurde. Benedict Kolbe, ver.di-Mitglied und Vertrauensmann bei der Stadt Köln, ist einer davon.
Als mir ein Kollege die Resolution der DGB-Jugend zum Nahostkonflikt schickte und mich nach meiner Meinung dazu fragte, fiel es mir schwer, darauf zu antworten. Nicht weil es ein so komplizierter Konflikt ist, dass man da nichts zu sagen kann oder ich mich nicht ausreichend damit auskenne, sondern weil mich die Resolution tatsächlich erst einmal fassungslos gemacht hat. Ich war schockiert, mit welcher Einseitigkeit hier über den Krieg im Nahen Osten geschrieben wurde. Die Resolution wurde am 18. Oktober veröffentlicht, die Bombardierung Gazas dauerte da schon 10 Tage an, es gab über 3.500 Tote und amnesty international untersuchte bereits von Israel begangene Kriegsverbrechen. Mit keinem Wort werden die palästinensischen Opfer erwähnt – und die Wörter Feuerpause oder Frieden sucht man im Papier vergeblich. Ich musste erst einmal nachschauen, wie es denn um die DGB-Satzung steht – und ja, es gibt ihn noch, den Paragrafen 2.2., der die Ziele Abrüstung, Frieden und Völkerverständigung festhält. Na, immerhin. Was schreib ich dem Kollegen? Die Resolution wird dem, was passiert, nicht gerecht.
Aber mich stört nicht nur das, was nicht in der Resolution steht, sondern auch Festschreibungen wie die, dass der einzige Grund für den Angriff der „Vernichtungswille des islamistischen Antisemitismus“ gewesen sei. Die menschenunwürdigen Lebensbedingungen, unter denen die Palästinenser aufgrund von Besatzung, Blockade und Apartheid dort seit Jahrzehnten leben, werden nicht herangezogen, um den Krieg zu erklären. Wenn man sich aber nur Teile eines Gegenstands losgelöst anschaut, statt ihn in seinem Werden zu betrachten, kann man ihn nicht ganz begreifen. Wenn man einen Gegenstand nicht begreift, kann man nicht mit ihm umgehen, zumindest nicht so, wie man eigentlich will. Ich sage also meinem Kollegen, dass die Analyse nicht stimmt und dass sich das darin zeigt, was dann in der Resolution als Konsequenz gezogen wird.
Zum einen wird der deutsche Staat gelobt für den Freibrief, den er Israel in diesem Krieg gibt. Es kann nicht sein, dass man hier dem deutschen Staat abkauft, aus seiner Geschichte gelernt zu haben. Wenn es dann auf einmal um den Völkermord an den Herero geht, um das vom Staat unterstützte und jetzt vertuschte NSU-Netzwerk oder um die massive Aufrüstung der Bundeswehr, dann wollen die Damen und Herren der Regierung von den Lehren aus der deutschen Geschichte nichts mehr wissen. Mein Kollege sagt: Stimmt – und demonstrieren dürfen die Rechten auch immer ohne Probleme.
Im Gegensatz zu denen, die seit Beginn des Krieges für Feuerpause, Frieden und Freiheit in Palästina auf die Straße gehen. Wir erleben, dass der Staat massiv die Grundrechte Meinungs- und Versammlungsfreiheit beschneidet. Demos werden auf Verdacht verboten, palästinensische Flaggen und Symbole als Anlass genommen, hart durchzugreifen und Versammlungen unter Generalverdacht gestellt. Diese Grundrechte sind einmal erkämpft worden, auch von den Gewerkschaften. Und sie stehen normalerweise auch jedes Mal mit auf der Straße, wenn diese etwa durch neue Versammlungsgesetze eingeschränkt werden sollen.
Dass die Resolution aber gerade für den Abbau unserer Rechte Schützenhilfe liefert, wenn sie in ihrer Resolution konsequente Verbote fordert, ist Ausdruck des unzureichend erfassten Gegenstandes, mit dem man dann nicht umgehen kann. Die Gewerkschaft will nicht die Grundrechte einschränken und sie will auch nicht das Asylrecht verschärfen. Aber mit einer solch undifferenzierten Positionierung entwaffnet man sich selbst. Man nimmt sich die Möglichkeit einzugreifen.
Der Repost des Olaf-Scholz-„Spiegel“-Covers mit der Überschrift „Sorry, Olaf, einfach NEIN!!“ war dann auch alles, was man als DGB-Jugend noch zu dem Thema machen konnte. Der Umgang des deutschen Staates mit dem Nahostkonflikt öffnet für ihn Möglichkeiten, reaktionäre Politik durchzusetzen. Wenn wir uns als Gewerkschaften dort unterordnen, im Endeffekt unter die Durchsetzung der Interessen der deutschen Monopole, dann entwaffnen wir uns selbst für einen Kampf, den wir eigentlich führen wollen und müssen.
Mein Kollege meint, er trete aus. Warum mache die Gewerkschaft so etwas? Ich frage ihn: Und dann? Dann stehen wir, wenn es das nächste Mal um mehr Geld oder weniger Arbeitszeit geht, alleine da. Auch wir würden uns selbst entwaffnen, wenn wir das tun. Was machen wir dann, fragt er, irgendwas müssen wir machen.
Deshalb habe ich den Offenen Brief zur Resolution unterschrieben: Für die toten Kinder in Palästina, für ein Ende der israelischen Besatzung und des Krieges, für Frieden im Nahen Osten. Aber auch für mich und für meinen Kollegen. Ich habe den Offenen Brief unterschrieben, weil ich nicht Leuten wie Markus Söder überlassen will, was wir aus der deutschen Geschichte zu lernen haben. Der Offene Brief ist in ehrlicher Sorge um unsere Gewerkschaften geschrieben, nicht in Opposition zu ihr. Wir brauchen unsere Gewerkschaften stark, unabhängig und solidarisch. Viele Gewerkschaften Europas machen es vor und verweigern die Lieferung von Waffen ins Kriegsgebiet. So weit sind wir nicht, aber wir sind so weit, in den Gewerkschaften um die Positionen zu ringen, die es braucht, um für eine friedliche Welt für alle zu kämpfen.