Klaus Wagener über „Westlessness“

Unlust am Westen

Europa muss die Sprache der Macht lernen.“ Statt „Westlessness“ hätte auch dieser Satz Ursula von der Leyens als Motto der Münchener „Sicherheitskonferenz 2020“ dienen können. Seit der Gauck-Rede 2014, in der der damalige Bundespräsident die „wachsende Verantwortung“ der Bundesrepublik in der Welt anmahnte, dienen die Auftritte der deutschen „Eliten“ auf der „Siko“ dem Zweck, die Militarisierung Deutschlands und Deutsch/Europas voranzutreiben und eine aggressivere Politikausrichtung zu propagieren.

„Wachsende Verantwortung“ ist die euphemistische Umschreibung für Aufrüstung. Auch die geforderten 2 Prozent/BIP sind eine Verniedlichung. Es wären rund 20 Prozent des Bundeshaushaltes. Und auch das reicht nicht. Zwar stehen die deutschen Panzer wieder 250 Kilometer vor der umgetauften Stadt Leningrad, aber jeder mit Grundkenntnissen in Militärstrategie weiß, in welcher Katastrophe es enden würde, wenn es der deutsche Militarismus zum dritten Mal versuchen würde. Um wirklich „Verantwortung übernehmen“ zu können, sind längst 4 und mehr Prozent/BIP angepeilt. Was 40 und mehr Prozent des Bundeshaushaltes entspräche.

Bundespräsident Steinmeier machte sich auch dieses Jahr für Aufrüstung stark. Die Gegner waren selbstverständlich Russland und China. Seit die USA den Weg des Multilateralismus verlassen hätten und nur noch egoistische Interessen verfolgten, sei Europa auf sich gestellt, so Steinmeier.

Die „Siko“-Macher hatten sich bemüht, dem Ganzen mit dem geschichtsphilosophischen Klageruf „Westlessness“ weltgeschichtliche Tiefe zu verleihen. Diese kulturpessimistische Provokation – im Text des „Munich Security Report 2020“ (MSR 2020) wird ausdrücklich auf Oswald Spenglers „Untergang des Abendlandes“ Bezug genommen – sollte natürlich ein empörtes „Niemals“ und die entschlossene Aufrüstung eben dieses „Abendlandes“ auslösen.

Wie kaum ein anderer war US-Außenminister Pompeo für diesen Part prädestiniert: „Der Westen siegt, wir werden siegen.“ Freie Länder seien einfach erfolgreicher. Sie förderten „Menschenrechte und Wohlstand“. Und natürlich habe man auch der atlantischen Gemeinschaft keine Absage erteilt. Imperiale Ambitionen haben laut Pompeo nur die anderen. Russland, Iran und natürlich die Kommunisten in China. Aber: „Der Westen wird gewinnen (…) Gott schütze Amerika“.

Jenseits dieser etwas schlichten Wahlkampf- und Durchhalterhetorik wird im MSR 2020 die Angst vor dem eigenen Bedeutungsverlust deutlich. Ein zerfallendes Europa wird in den Augen seiner Eliten immer weniger fähig, sich in dem historischen Machtkampf zwischen dem schwächer werdenden US-Imperium und seinen eurasischen „Herausforderern“ als relevanter Player zu behaupten.

Diese eurasische Herausforderung wird allerdings vor allem militärisch und gesellschaftspolitisch, als ein Angriff repressiv-autokratischer Regime auf die offenen, liberalen und demokratischen Gesellschaften des „Freien Westens“ denunziert. Die zynische Selbstüberhöhung der Konquistadoren und Kolonisatoren zu Missionaren des Fortschritts, der Aufklärung und der Menschenrechte ist so alt wie die 500-jährige europäisch-nordamerikanische Expansion. Das blutigste Phänomen der Menschheitsgeschichte überhaupt. Sie wird durch Wiederholung nicht wahrer.

Die chinesischen Kommunisten haben hunderte Millionen aus dem Elend, der Armut und der Unwissenheit geholt, ebenso wie es die russischen Kommunisten taten. Sie schicken sich an, die Lebensverhältnisse von Milliarden Menschen des eurasischen Kontinents, Afrikas und Ozeaniens zu verbessern, während der „freie Westen“ nur eine Antwort kennt: Noch mehr Krieg und noch mehr Bomben. Hier liegt die wirkliche Herausforderung.

Westlessness? Da fällt die Antwort nicht schwer.

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"Unlust am Westen", UZ vom 21. Februar 2020



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