Internationale Schiedsgerichte als Unterdrückungsinstrument

Unkontrollierbare Juristen

Afrikanische Staaten, die sich auf Freihandelsverträge mit westlichen Staaten einließen, bekamen die Macht internationaler Konzerne zu spüren: 1996 schlossen Britannien und Tansania ein Abkommen zum Schutz britischer Bergbauinvestitionen. Enteignungen oder Maßnahmen, die einer Enteignung gleich kommen würden, wurden vertraglich untersagt. Der britische Konzern „Nachingwea“ baute daraufhin in Tansania Nickel ab. Im Juni 2017 überarbeitete das tansanische Parlament sein weltweit als besonders investorenfreundlich geltendes Bergbaugesetz. Ein Untersuchungsausschuss hatte Fälle von Steuerhinterziehung und Korruption im Montanbereich ans Licht gebracht und empfahl, die Vorschriften über Schürfrechte zu revidieren. Dies mündete im Januar 2018 in neue gesetzliche Vorschriften und die Aufhebung der in der Vergangenheit vergebenen Lizenzen. Das britische Unternehmen sah seine Felle davonschwimmen. Zwei Jahre Streit mit der Regierung Tansanias brachten kein Ergebnis, „Nachingwea“ reichte im September 2020 eine Schiedsgerichtsklage ein. Im Juli 2023 gaben die Schiedsrichter dem Investor Recht: Tansania, das sich erlaubt hatte, 22 Jahre nach Vertragsabschluss mit Großbritannien sein Bergbaurecht zu reformieren, musste 76 Millionen Dollar Schadensersatz an den Konzern und vier Millionen Dollar Anwaltskosten berappen.

Welche Rolle spielt der Investitionsschutz in bilateralen („Bilateral Investment Treaties“, BITs) und multilateralen Abkommen („Treaties with Investment Provisions“, TIPs)? Welche Rolle haben die sogenannten internationalen Schiedsgerichte?

Von den weltweit etwa 3.500 bekannten Investitionsschutzabkommen sind momentan etwa 3.000 in Kraft. Der Boom des vertraglich geregelten Investitutionsschutzes ist allerdings vorbei, er erreichte zwischen 1990 und 2005 seinen Höhepunkt, inzwischen werden nur noch vereinzelt solche Verträge geschlossen. Dies liegt zum einen daran, dass der Regelungsbedarf inzwischen weitgehend gedeckt ist, zum anderen haben die Länder des globalen Südens, insbesondere in Süd- und Mittelamerika, schlechte Erfahrungen gemacht. Das politische Bündnis der BRICS-Staaten und der Zulauf einer zweistelligen Zahl von beitrittsinteressierten Ländern sorgen zudem für die Erwartung, BRICS werde eine Freihandelszone als Alternative zum Dollarimperium einrichten, was viele Staaten momentan abwarten lässt.

Den Bürgern Europas ist die Vertragskonstruktion der TIPs durch die Auseinandersetzungen um die Einführung des seit 2013 geplanten Handels- und Investitionsabkommens zwischen Europäischer Union und den USA (Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP) bekannt geworden. Freihandelsabkommen nivellieren im Interesse des freien Kapital- und Warenverkehrs zwischenstaatliche Handelshemmnisse (Zölle, Importverbote, Einfuhrkontingente). Allein die EU hat 36 solche Abkommen mit Einzelstaaten oder Staatengemeinschaften abgeschlossen – genau genommen ist der EU-Wirtschaftsraum selbst eine einzige Freihandelszone. Wie die BITs besitzen auch diese Verträge regelmäßig eine Investitionsschutzklausel, die den Investor vor Schaden bewahren soll. Dem ausländischen Investor wird der Rechtsstatus eines inländischen Unternehmens verliehen. Mehr noch: Investitionen einer Vertragspartei im Gebiet einer anderen Vertragspartei dürfen weder verstaatlicht oder enteignet, noch einer ähnlichen Maßnahme gleicher Wirkung unterworfen werden. Andernfalls wird eine Entschädigung in Höhe des Marktwertes zum Zeitpunkt der Enteignung fällig.

Der Bundesregierung ist eine ähnliche Regelung im Vattenfall-Prozess 2021 vor Augen geführt worden. Der schwedische Energiekonzern Vattenfall erstritt vor einem internationalen Schiedsgericht eine Entschädigungszahlung wegen des beschleunigten Ausstiegs der Bundesrepublik aus der Atomenergie in Höhe von 1,4 Milliarden Euro. Zur Kasse gebeten wurden die Steuerzahler. Das hier zugrundeliegende Investitionsschutzabkommen war der 1998 in Kraft getretene Energiecharta-Vertrag, den die Staaten der EU und weitere Länder unterschrieben hatten. Mittlerweile hat sich durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom September 2021 in der Sache Republik Moldau gegen das Unternehmen „Komstroy“ herausgestellt, dass die EU nie hätte vereinbaren dürfen, die Streitbeilegung einem Schiedsgericht zu übertragen, sondern dass zuständig allein die ordentlichen Zivilgerichte des jeweiligen EU-Staates sind. Die Causa Vattenfall wird allein deshalb nicht mehr aufgerollt. Damit die Peinlichkeiten sich nicht noch steigern, ist die gesamte EU am 28. Juni 2024 aus dem Energie-Charta-Vertrag ausgetreten. Die Folgen der EuGH-Entscheidung für die noch laufenden Investitionsschutzverträge mit Schiedsgerichtsklauseln sind aktuell nicht absehbar.

Global stehen Investitionschutzregeln und die Übergabe an „unabhängige Schiedsgerichte“ immer mehr in der Kritik. Internationale Großkonzerne können arme Staaten wirtschaftlich durch den Weg über eine Investor-Klage in die Knie zwingen, wie es der US-Ölkonzern Conoco-Phillips im Streit um verstaatlichte Ölfelder in Venezuela versucht hat. Das Weltbank-Schiedsgericht sprach dem Investor 2019 8,7 Milliarden Dollar Entschädigung zu, mehr als 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts Venezuelas.

Durch die Schiedsgerichte wird die Zuständigkeit der Gerichte des Investitionsempfängerlandes umgangen. Sie tagen unter Ausschluss der Öffentlichkeit, gegen ihre Urteile gibt es kein Rechtsmittel und sie sind unmittelbar weltweit vollstreckbar. Das Klagerecht hat nur der Investor, das jeweils angewandte Recht besteht aus einem nach unklaren Kriterien erstellten Sammelsurium von Normen des Völkerrechts, Ideen eines Pseudo-Gewohnheitsrechts und den zusammengeklaubten Regeln des Privat-, Konzern- und Handelsrechts „all over the world“. International sorgen eine Handvoll Schiedsgerichte, die sich selbst ernannt ihre Befugnisse modelliert haben, für ein Netzwerk intransparenter Abläufe. Sie spielen Schiedsrichter, die niemandem rechenschaftspflichtig sind und die sich die Fälle durch gutdotierte Spezialanwälte der Konzerne auf den Tisch legen lassen. Die juristische Weihe für dieses Prozedere hat das „Internationale Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten“ (ICSID), eine Unterabteilung der Weltbank in Washington, erteilt. Das sorgt für einen vermeintlich „geordneten Ablauf“ der Verfahren, organisiert Verhandlungsräume und stellt den Büro- und Kommunikationsapparat zur Verfügung. Der ICSID liefert auch Zahlen – und die sprechen eine klare Sprache: 2023 wurden 57 neue Investorklagen angenommen, zwei Drittel entfielen auf multilaterale Verträge wie das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA), das USA-Kanada-Mexiko-Abkommen (USMCA) sowie den Energiecharta-Vertrag. Meistverklagt werden die Staaten Mittelamerikas und der Karibik. Die 2023 entschiedenen Altfälle fielen mit 55 Prozent zugunsten des Investors aus, in 31 Prozent wurde die Klage abgewiesen, in 14 Prozent erklärte sich das Gericht für unzuständig. Die Investor-Erfolgsquote dürfte in den ISDS-Fällen indes deutlich höher liegen, da etwa ein Fünftel der Streitverfahren mit einem außergerichtlichen Vergleich endet, der Staat sich also zu einer Zahlung verpflichtet. Da die Vergleiche unter Verschluss gehalten werden, lässt sich mehr nicht sagen.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Unkontrollierbare Juristen", UZ vom 6. September 2024



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Flagge.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit