BRICS gegen Sanktionen und Blöcke

Unipolar, bipolar oder multipolar?

Kolumne

In der „Nationalen Sicherheitsstrategie“, über die die BRD neuerdings verfügt, steht: „Wir leben in einem Zeitalter wachsender Multipolarität und zunehmender systemischer Rivalität.“ „Zeit“-Autor Jörg Lau kritisiert: „Die ‚multipolare Weltordnung‘ ist ein antiwestliches Projekt – gegen universale Werte und das internationale Recht. Sie kann kein Ziel deutscher Außenpolitik sein. Ein Begriff, der unseren Werten und Interessen zuwiderläuft, hat in der Nationalen Sicherheitsstrategie keinen Platz.“ („Internationale Politik“, 28. August) Politikwissenschaftler Thomas Jäger meint im „Focus“: „Bundeskanzler Scholz weiß nicht, was ‚multipolare Ordnung‘ bedeutet.“ (4. Juli) Der Machtvorsprung der USA und Chinas sei für eine multipolare Welt zu groß. Es entstehe Bipolarität.

Neocon Robert Kagan erklärte 2008 den Konflikt zwischen „liberaler Demokratie und Autokratie“ zum dauerhaftesten Konflikt seit der Aufklärung. Ausgehend von Fukuyamas These, die „liberale Demokratie“ sei das „Ende der Geschichte“, verpassen Neocons allem, was von der „liberalen Demokratie“ abweicht, darunter dem Sozialismus und Kommunismus, das „Autokratie“-Label. Die USA als „älteste liberale Demokratie“ gilt ihnen per se als Fortschrittsträger, ihre Gegner als regressiv. Zur Demokratiekonferenz 2022 lud Biden die US-hörige Regierung Polens, nicht aber Ungarn ein. Die EU sieht bei beiden Demokratiedefizite.

Die Neocons trommeln zur Sammlung vorgeblicher „Demokratien“, um die US-Suprematie zu verteidigen oder zumindest den Aufstieg ihrer Herausforderer zu verzögern. Als im Gefolge der Krise 2008 ff. Chinas BIP nach Kaufkraftparität das US-BIP überholte, war der „unipolare Moment“ vorbei. Die USA wechselten gegenüber Russland und China von der Integrationsstrategie zur Eindämmungs- und Rollbackpolitik. Die bipolare Sicht auf die Welt erleichtert die Blockbildung des „Guten“ gegen das „Böse“. Theoretiker des Transatlantismus im hiesigen Herrschaftsgebälk drängen die deutsche Regierung, sich ohne Hintertürchen dem US-geführten Block im 2. Kalten Krieg unterzuordnen.

So schreibt Jäger mit Blick auf Scholz: „Wer meint, dass die Globalisierung weitergeht, der wird das Geschäft mit China nur ein wenig eindämmen wollen. Anders würde jemand entscheiden, der analysiert hat, dass die Globalisierung stockt und sich intensivere regionale Wirtschaftsräume ausbilden.“ Für teilweises „Reshoring“ gibt es sinnvolle Gründe wie mehr Diversifizierung und Binnenorientierung. Jäger verschweigt aber, dass primär westlicher Protektionismus und Eindämmungspolitik heute die internationale Vergesellschaftung der Produktion (= Globalisierung) bremsen, ohne sie als objektive Tendenz der Produktivkraftentwicklung aufzuheben. Sie setzte sich nach 2008 langsamer fort und bleibt für den ökonomischen Aufstieg neuer Länder wichtig.

Laut World Investment Report sanken die ausländischen Direktinvestitionen 2022 um 12 Prozent. Das traf mit minus 37 Prozent hauptsächlich die entwickelten Länder (vor allem die EU), während die Zuflüsse in Entwicklungsländer um 4 Prozent leicht zulegten. Die fünf größten Empfängerländer waren USA, China, Singapur, Hongkong, Brasilien, die fünf größten Abflussländer USA, Japan, China, BRD und UK. Den US- und EU-Sanktionen gegen Russland folgten die meisten Länder nicht. Der 15. BRICS-Gipfel nennt unilaterale Zwangsmaßnahmen „inkompatibel mit der UN-Charta“. Die BRICS wollen ein gerechteres, repräsentativeres und demokratischeres internationales und multilaterales System voranbringen, indem sie vielfältige Formen der Kooperation entwickeln. Zugleich drängen sie auf die Reform der heutigen „Global governance“. Sie wollen Indien, Brasilien und Südafrika im UN-Sicherheitsrat sehen. Die Afrikanische Union soll Mitglied der G20 werden. Vom US-dominierten Finanzsystem will man sich unabhängiger machen.

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"Unipolar, bipolar oder multipolar?", UZ vom 8. September 2023



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