Italien: Bald nach 1945 konnten sich die Faschisten wieder formieren – und zogen ins Parlament ein

Unheilvoller Geschichtsrevisionismus

Von Gerhard Feldbauer

Die Ehrung von unter dem Besatzungsregime der Hitlerwehrmacht in Mussolinis Repubblica Sociale Italiana (RSI) gefallenen Soldaten und Schwarzhemden (der italienischen SS) durch die von dem sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) dominierte Stadtverwaltung von Mailand zum Tag der Allerheiligen am 1. November auf dem Zentralfriedhof der Stadt hat eine scharfe Protestwelle ausgelöst (siehe UZ vom 11.11.).

Der skandalöse Vorgang erinnerte daran, dass dieser schon nach 1945 einsetzende unheilvolle Geschichtsrevisionismus bis in die Gegenwart reicht und seine Ausbreitung unter den Linken entscheidend zu deren heutiger tiefer Krise beitrug.

Zunächst wurde er durch die von der Democrazia Cristiana (DC) nach 1945 geführten Regierungen begründet und aktiv vom Vatikan unterstützt. Die DC unternahm nicht nur nichts, um das bereits im Dezember 1946 gegründete Movimento Sociale Italiano (MSI – der Parteiname, in dem Repubblica durch Movimento, d. h. Bewegung, ausgetauscht wurde, bezog sich direkt auf die RSI), mit dem ein direkter Nachfolger der Mussolini-Partei entstand, der sich zu deren Programmatik und Traditionen bekannte, zu verbieten, sondern ließ zu, dass dieses sich im Parlament etablieren konnte und förderte aktiv diesen Prozess. Damit gingen die Faschisierungsprozesse im parlamentarischen Rahmen vor sich, wurden von rechten Kräften in bürgerlichen Parteien, vor allem der DC, mitgetragen, womit die These von der Wahl des MSI ins Parlament als Argument seiner „demokratischen Legitimität“ kreiert wurde. Das ist durchaus ein Prozess, der mit der heutigen Entwicklung der Front National Marine Le Pens in Frankreich, der AfD in der Bundesrepublik oder eben der Wahl eines Donald Trump in den USA vergleichbar ist.

Lassen wir dazu einige Fakten aus Italien sprechen.

1950 empfingen Staatspräsident Giulio Einaudi und Ministerpräsident Alcide De Gasperi (DC) eine MSI-Delegation mit ihrem Sekretär Arturo Michelini an der Spitze. 1953 stützte sich die Regierung von Giuseppe Pella, eines zur DC gewechselten ehemaligen Mussolini-Faschisten, auf die Stimmen des MSI, um die erforderliche Mehrheit bei der Vertrauensabstimmung zu erhalten. 1957 bediente sich die Regierung Adone Zoli und danach die von Antonio Segni ebenso der Stimmen der Faschisten. 1960 versicherte sich Fer­nando Tambroni, ein früherer Hauptmann der Miliz der RSI, seit 1926 Mitglied der faschistischen Partei und nunmehriger Ministerpräsident der DC, der Unterstützung seiner faschistischen Kumpane. 1962 gelang es nur mit den MSI-Stimmen den DC-Bewerber Segni und 1972 Giovanni Leone zum Staatspräsidenten zu wählen. Der DC-Senator Don Luigi Sturzo, 1919 Gründer der katholischen Volkspartei, rief 1952 die DC und die anderen bürgerlichen Parteien auf, zusammen mit dem MSI und den Monarchisten einen Einheitsblock gegen die „rote Machtübernahme“ zu bilden. Als sich mit Beginn der 50er Jahre die Forderungen verstärkten, das MSI als Nachfolger der Mussolinipartei zu verbieten, wandten sich Vatikankreise dagegen. Die Zeitschrift der Jesuiten „La Civiltà Cattolica“ verurteilte es, „die 20 Jahre Faschismus als völlig negativ zu bewerten“ und nannte das „eine Verleumdung des Vaterlandes“. Ministerpräsident Zoli genehmigte dem MSI, den Leichnam Mussolinis in dessen Heimatort nach Predappio zu überführen und dort in einem Ehrenhain beizusetzen. Die Feiern des MSI gestalteten sich zu einer Verherrlichung des „Duce“ und der unter seinem Regime begangenen Verbrechen. Noch heute ist Predappio ein Wallfahrtsort der Faschisten. Die Witwe des Diktators erhielt eine Rente bewilligt, während sie Antifaschisten und Verfolgten der faschistischen Diktatur in unzähligen Fällen verweigert wurde. Das MSI-Blatt „Secolo d’Italia“ bekam offizielle Staatszuschüsse.

Von den Linksdemokraten übernommen

Nachdem die Revisionisten in der IKP die Kommunistische Partei 1991 liquidiert und danach den sozialdemokratischen Partito Democratico della Sinistra (PDS) gebildet hatten, schloss dieser sich schon bald diesem unheilvollen Geschichtsrevisionismus an. Als das 1994 von dem faschistoiden Berlusconi in die Regierung aufgenommene MSI sich im Januar 1995 zur Vertuschung seines faschistischen Charakters in Alleanza Nazionale (AN) umtaufte, nahm an dem Parteitag eine PDS-Delegation teil, unter der sich mit Ugo Pecchioli, einst Kommandant der berühmten 77. Garibaldi-Brigade, einer der angesehensten Resistenza-Kämpfer befand. Danach kam es immer öfter zu Kontakten, die den Charakter von Parteibeziehungen annahmen.

Nach dem Wahlsieg von Mitte-Links 1996 wurde Luciano Violante von der PDS Parlamentspräsident. In seiner Antrittsrede stellte er den nationalen Charakter der Resistenza in Frage und rief dazu auf, über das Schicksal der „Besiegten von gestern“ nachzudenken, was hieß der Salò-Faschisten. Das „Secolo d‘Italia“, nunmehr AN-Blatt, sprach von „historischen Ausführungen“. 1997 nahm Violante an einem Pressefest der AN teil und bezeugte in seiner Rede denjenigen, die in der Salò-Republik an der Seite der Hitlerwehrmacht kämpften, „seinen Respekt“. Violante sprach sich, wiederholt von stürmischen Beifall unterbrochen, dafür aus, das „Kapitel des Faschismus abzuschließen“ und ein „einheitliches Geschichtsbild“ zu gestalten. Der Rechtswissenschaftler Mario Losano, belehrte Violante, dass Fini und seine Gefolgsleute in der AN Faschisten geblieben seien. „Die Orientierung an der faschistischen Ideologie“ sei, „wenn auch mit verbalen Abschwächungen, de facto eine Konstante dieser Partei geblieben“. Antonio Tabucchi wies Violante zurecht und erklärte, die Salò-Faschisten „waren Kollaborateure der Nazis. Sie töteten und sie folterten. (…) Wer behauptet, die ‚Jungs von Salò hätten immerhin für die Ehre des Vaterlandes gekämpft, der lügt. Dem muss man widersprechen.“

Der aus der PDS kommende Staatspräsident Giorgio Napolitano, 1990/91 führend an der Liquidierung der IKP beteiligt, verhalf dem im November 2011 als Premier zu Fall gebrachten Berlusconi zum politischen Überleben. Er lehnte vorgezogene Parlamentswahlen, die dessen politisches Ende besiegelt hätten, ab und setzte stattdessen ein Übergangsregierung ein, an der dessen rechtsextreme Partei des Volkes – PdL (die später wieder ihren Gründungsnamen Forza Italia annahm), beteiligt wurde. Zu seiner Wiederwahl sicherte sich auch Napolitano 2013 die Stimmen der FI.

Eine „Partei der Nation“ für alle?

Der Präsident des Partisanenverbandes ANPI von Treviso, Professor Berto Lorenzoni, während der Resistenza Bataillonskommissar in der legendären Garibaldi-Division Nino Nanetti, verwies darauf dass die jetzigen Ereignisse den Intentionen Premier Matteo Renzis, der gleichzeitig PD-Chef ist, entsprechen, die aus ehemaligen Linksdemokraten und Katholiken 2007 fusionierte Partei in eine „Partei der Nation“ und „Partei für alle“ zu machen. Diese stünde dann auch sogenannten moderaten extremen Rechten offen, wenn sie ihre jetzigen Parteien verlassen würden, was vor allem auf die FI Berlusconis zutreffen könnte. Vorgemacht hat das schon Berlusconis Ex-Vize Angelino Alfano, der mit abtrünnigen Parlamentariern und Senatoren der FI eine sogenannte „moderate“ Partei „Neues Rechtes Zentrum“ (NCD) gegründet hat, die Renzi in seine Regierung aufnahm.

Tabucchi schrieb u. a. die Erzählung „Im Reich des Heliogabal – Ein Aufruf gegen die Diktatur des Wortes“. In: Susanne Schüssler (Hg.) „Berlusconis Italien. Italien gegen Berlusconi“, Berlin, 2003. Heliogabal war Oberpriester des Kultes des gleichnamigen Sonnengottes, der von 218 bis 222 römischer Kaiser war. Er galt als der verrufenste römische Herrscher und wurde von seinen eigenen Soldaten erschlagen. Tabucchi verglich in seiner Erzählung den mehrmaligen faschistoiden Premier Silvio Berlusconi, Mitglied des Dreierdirektoriums der faschistischen Putschloge Propaganda due (P2), und dessen Mediendiktatur als „eine orientalische Form der Despotie, wie sie Heliogabal über Rom errichtet hatte.“

Nino Nanetti – Name des IKP-Mitglieds und Organisators der Garibaldi-Brigade in Spanien, als Divisionsgeneral gefallenn

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"Unheilvoller Geschichtsrevisionismus", UZ vom 25. November 2016



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