Gedanken von Peter Wahl zur Friedensdemonstration am 25. November in Berlin

Unglaubliche Propaganda

Peter Wahl

Peter Wahl hat in einer ersten Stellungnahme zur Friedensdemonstration am 25. November in Berlin einige Gedanken notiert, warum er sie als Erfolg einschätzt. UZ dokumentiert im Folgenden Auszüge daraus. Peter Wahl ist Mitbegründer von Attac und gehört der Initiative „Nein zum Krieg – Die Waffen nieder“ an, die die Demonstration organisiert hat.

Die Demonstration und Kundgebung in Berlin unter dem Motto „Nein zu Kriegen – Rüstungswahnsinn stoppen – Zukunft friedlich und gerecht gestalten“ war mit über 20.000 Teilnehmern ein großer Erfolg. Als jemand, der einige Großdemos in Leitungsfunktionen auf dem Buckel hat, weiß ich, wovon ich rede, wenn ich die Zahlen der Polizei als reinen Polit-Fake bezeichne. (…) Der Erfolg der Mobilisierung ist umso bemerkenswerter, als Friedensbewegung in diesen Zeiten nicht gerade unter günstigen Bedingungen agieren muss. Denn:

1. Mit dem Ukraine-Krieg versuchen der herrschende Block und seine ideologischen Apparate eine Renaissance von deutschem Militarismus und deutschem Großmachtstatus – beschönigend als „Zeitenwende“ bezeichnet – durchzusetzen. Sie wollen den deutschen Imperialismus 3.0. Auch wenn das, wie alle Umfragen belegen, nicht so recht funktioniert und in der Bevölkerung zumindest eine post-heroische Grundhaltung verbreitet ist, muss Friedenspolitik gegen unglaublichen propagandistischen Gegenwind ankämpfen.

2. Das geschieht in einer Situation, in der vor allem für jüngere Generationen das Thema Krieg – und sei sie auch nur durch die Eltern vermittelt – keine Rolle spielt. Verständlicherweise. Auch Kenntnisse über internationale Konflikte und Krieg, die von der Anti-Raketen-Bewegung der 1980er Jahre in die Öffentlichkeit getragen wurden, sind nicht mehr vorhanden. Wer unter 50 weiß, was „atomarer Winter“, was „strategisches Gleichgewicht, Eskalationsdominanz“ oder „Enthauptungsschlag“ bedeuten? Wer ist mit den Methoden von Feindbildproduktion vertraut, wie sie die im Kalten Krieg Sozialisierten erlebten? Sehr treffend daher der Vorschlag von Wagenknecht an „The last Generation“: „Klebt euch doch mal vor der Airbase Ramstein auf die Straße!“ Klima und Frieden gehören schließlich zusammen.

3. Die Entscheidung für den 25. November und der Aufruf dazu kamen vor dem Ausbruch des neuen NahostKriegs. Innenpolitisch hat dieser Krieg den Konformitätsdruck in Richtung Einheitsmeinung noch einmal um eine Größenordnung nach oben gedreht. Im Vergleich zur Instrumentalisierung des Antisemitismusvorwurfs erscheint das Etikett „Putin-Versteher“ inzwischen fast schon wieder harmlos. Der neue Krieg hat zusätzliche Spaltungslinien in der gesellschaftlichen Linken hervorgerufen. Derzeit wird auch „Fridays for Future“ mit einem haltlosen Antisemitismusvorwurf gegen Greta Thunberg fertiggemacht. (…)

4. Die vorgenannten Faktoren hinterlassen natürlich auch ihre Spuren in einigen Teilen der Friedensbewegung. Sie äußern sich in zum Teil heftigen Polemiken, an deren Spitze meist die Unterstellung von „Rechtsoffenheit“ steht. Hier dürfte aber der 25. November endgültig für Klarheit gesorgt haben. (…) Noch in einem anderen Punkt hat der 25. November für Klarheit gesorgt. Jene in der Friedensbewegung, die geglaubt hatten, mit der Befürwortung von Waffenlieferungen an Kiew und eines ukrainischen Siegs auf dem Schlachtfeld Menschen für Friedenspolitik gewinnen zu können, dürften jetzt gemerkt haben, dass man sich schon deutlicher von Baerbock und NATO abheben muss, um Gehör zu finden. (…)

Neben dem zahlenmäßigen Erfolg ist auch die politische Zusammensetzung der Demo interessant. Es dominierten die blauen Fahnen mit Friedenstauben und die Pace-Regenbogenfahnen, wie sie in lokalen Initiativen verbreitet sind, Das verweist auf eine Verankerung an der Basis. Außerdem gab es viele Fahnen und Transparente von ver.di, GEW und traditionellen Friedensorganisationen wie DFG/VK, VVN-BdA, DKP und anderen. Vereinzelt waren auch ein paar Jusos dabei. Da anders als noch bei der Anti-Raketen-Bewegung der 1980er Jahre heute keine gut geölten Organisationsapparate zur Verfügung stehen und auch der Initiatorenkreis nur ein Zusammenschluss von Einzelpersonen ist, kann die Bedeutung der lokalen Basis gar nicht hoch genug geschätzt werden.

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"Unglaubliche Propaganda", UZ vom 1. Dezember 2023



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