Antirussische Kräfte dominieren Parlamentswahlen in der Ukraine

Ungebrochen konfrontativ

Von Renate Koppe

Bei den Wahlen zum Parlament der Ukraine – der Obersten Rada – am 21. Juli hat die Partei des im April gewählten Präsidenten Selenskij „Diener des Volkes“ mit 43,16 Prozent und den meisten Wahlkreiskandidaten eine bequeme absolute Mehrheit erhalten. Weiter im Parlament vertreten sind mit 13,05 Prozent die Partei „Oppositionsplattform – für das Leben“ von Jurij Bojko und Wiktor Medwedtschuk, es folgen die „Vaterlandspartei“ der ehemaligen Premierministerin Timoschenko (8,18 Prozent) und die „Europäische Solidarität“ des früheren Präsidenten Poroschenko (8,1 Prozent) sowie die erst vor wenigen Monaten gegründete Partei „Golos“ (Stimme) des Rockmusikers Wakartschuk mit 5,8 Prozent. Die Wahlbeteiligung betrug knapp 50 Prozent. Die Kommunistische Partei der Ukraine und andere linke Kräfte waren zur Wahl nicht zugelassen worden. In den Medien wird oft darauf hingewiesen, dass die offen faschistischen Kräfte nicht in die Rada gekommen seien. Nicht erwähnt wird dagegen, dass ein großer Teil dieser Kräfte auf der Liste Poroschenkos kandidiert hat.

Am Wahlabend, als die absolute Mehrheit noch nicht völlig sicher war, schloss der Präsident eine Koalition sowohl mit der Partei Poroschenkos als auch mit der Oppositionsplattform aus. Die „Oppositionsplattform“ gilt in der Ukraine, aber auch in den westlichen und einem Teil der russischen Medien als prorussisch, was durchaus zweifelhaft ist. Medwedtschuk, früher einer der Unterhändler der Ukraine im Minsker Prozess, kann ohne weiteres als ukrainischer Nationalist bezeichnet werden. Allerdings scheinen zumindest Teile der russischen Regierung auf ihn gesetzt zu haben. Er hatte im Vorfeld der Wahlen ein Gespräch mit dem russischen Präsidenten Putin, es gelang ihm, vier ukrainische Kriegsverbrecher aus dem Donbass im Rahmen des Gefangenenaustauschs ohne Gegenleistung frei zu bekommen, was sicher auf russische Bitte hin geschah. Er stellte einen „Friedensplan“ für den Donbass vor, der angeblich mit den Volksrepubliken des Donbass abgestimmt sei, was allerdings von Seiten des Staatsoberhaupts der Donezker Volksrepublik entschieden dementiert wurde.

Die große Fraktion der Partei Selenskijs mit 254 Sitzen ist keineswegs einheitlich. Sie besteht aus sehr vielen unbekannten und völlig unerfahrenen Abgeordneten. Mit dieser absoluten Mehrheit können die Regierung, das Amt des Ministerpräsidenten und sämtliche Ämter vom Geheimdienst bis zur Generalstaatsanwaltschaft sowie auf regionaler Ebene ganz nach Wunsch besetzt werden. Wie einvernehmlich dies verläuft, wird sich zeigen, denn in der Fraktion sind neben den oben genannten Hinterbänklern unterschiedliche Interessen vertreten. Einmal sind dies Vertreter des Oligarchen Wiktor Pintschuk, dem Eigentümer des international aktiven Unternehmens „Interpipe“. Stärker vertreten sind, wie zu erwarten war, Leute des Oligarchen Igor Kolomojskij. Eine dritte Gruppe bilden mit dem Innenminister Awakow, der rechtzeitig die Seiten gewechselt hat, eng verbundene Personen.

Schon die oberflächliche Betrachtung dieser Kräfte zeigt, dass nicht nur die prowestliche und NATO-Orientierung, Unterordnung unter den IWF, Sozialabbau und politischer Repression völlig ungebrochen bleiben werden. Auch die Konfrontation mit Russland geht weiter. Wenige Tage nach der Wahl wurde ein russischer Tanker am ukrainischen Donauhafen Ismail festgesetzt. Die Besatzung konnte inzwischen nach Russland zurückkehren, nach deutlichen Äußerungen des russischen Außenministeriums, dass Geiselnahme nicht geduldet werde. Das Schiff wird festgehalten. Es soll im November 2018 an der Blockade der illegal in der Meerenge von Kertsch eingedrungener ukrainischer Militärschiffe beteiligt gewesen sein. Die von der russischen Regierung wohl aus diplomatischen Gründen geäußerte Vermutung, dies sei an Selenskij vorbei geschehen, hat sich bisher nicht bestätigt. Der Präsident hat sich dazu jedenfalls nicht geäußert.

Auch der Krieg gegen den Donbass geht weiter. Esr ist nach dem Inkrafttreten einer erneuten Feuerpause am 21. Juli ruhiger geworden. Davor hatten die ukrainische Aggression und der Terror gegen die Zivilbevölkerung seit dem Amtsantritt Selenskijs deutlich zugenommen. Drei getötete und 22 verletzte Zivilisten, fast 400 beschädigte Wohnhäuser und Infrastrukturobjekte. Selenskij und seine Partei lehnen nicht nur direkte Verhandlungen mit den Volksrepubliken, sondern auch eine Amnestie ab – beides ist in den Minsker Vereinbarungen vorgesehen. Der Vorsitzende der „Diener des Volks“, Dmitrij Rasumkow, möchte dem Donbass nur „erlauben“ die russische Sprache breiter zu verwenden.

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"Ungebrochen konfrontativ", UZ vom 2. August 2019



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