Gabriele Gast, Kundschafterin des Auslandsnachrichtendienstes der DDR

Ungebrochen

Von Gerhard Feldbauer

Klaus Eichner

Agentin in der BND-Zentrale.

Gabriele Gast im westdeutschen Spionagezentrum

256 S., edition ost, Berlin 2015, brosch. mit Abb., 14,99 Euro

ISBN 978–3-360–01870-0

ungebrochen - Ungebrochen - HVA, Kundschafter, Politisches Buch, Rezensionen / Annotationen - Theorie & Geschichte

Unter der großen Zahl von Bürgern der Bundesrepublik, die für die Hauptabteilung Aufklärung (HVA), den Auslandsnachrichtendienst der DDR arbeiteten, gehörte Gabriele Gast zweifelsohne zu den herausragenden Persönlichkeiten. 1968 wurde sie von der HVA angeworben und erhielt den Decknamen „Gisela“. Ihre Top-Kariere als Kundschafterin und damit Doppelagentin begann, als sie 1973 Mitarbeiterin des Bundesnachrichtendienstes wurde, wo sie Dr. Leinfelder hieß und bis zur Regierungsdirektorin aufstieg. Wenn zunächst auch die Liebe zu einem Mitarbeiter der HVA eine Rolle spielte, lag die entscheidende Basis ihrer gefahrvollen Arbeit bald, wie sie sagt, in „meiner zunehmenden Ablehnung der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung und der Hinwendung zu sozialistischen Vorstellungen.“ Herausragend für ihre Motivation war dabei das Ziel der HVA, dass „nie wieder Krieg in Europa und schon gar nicht von deutschem Boden“ ausgehen sollte. Viele Westdeutsche, die die sich diesen Zielen, oft auf anderen politischen Positionen verpflichtet fühlten, arbeiteten deshalb für den Geheimdienst der DDR. Nicht wenige dieser Kämpferinnen und Kämpfer standen nach dem Ende der DDR in den Gefängnissen der Bundesrepublik mit langen Haftstrafen für ihre Überzeugungen ein. Gegen diese Bürger der Bundesrepublik wurden über 3 000 Ermittlungsverfahren eingeleitet, fast 400 Anklagen erhoben und 250 Freiheitsstrafen verhängt, darunter drei mit je zwölf Jahren Freiheitsentzug. „Auch in dieser Situation zeigten die Kundschafter menschliche Größe. Sie verdienen unsere uneingeschränkte Hochachtung“, hält Klaus Eichner in seinem neuesten Buch fest. Für Gabriele Gast war besonders schmerzlich, dass sie von einem Oberst der HVA für schnöden Judaslohn an den BND verraten wurde. Ihren Namen wusste der Denunziant nicht, aber, und das war das besonders Fiese, ihm war bekannt und er gab den Hinweis, die Agentin habe ein behindertes Kind und er wusste wohl, dass damit dessen Leben zerstört wird. Die wichtigste Quelle der HVA wurde zu einer Haftstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt. 15 Monate wurde sie der Folter einer Isolationshaft unterworfen.

In ihrem 1999 erschienenen Buch „Kundschafterin des Friedens. 17 Jahre Topspionin der DDR beim BND“ hat sie bereits einen Einblick in die Motive ihrer Arbeit gegeben, mit der sie „mit ihrem herausragenden Intellekt und ihrer konsequent kritischen Position“, wie der letzte Chef der HVA, Werner Großmann, einschätzte, „immer wieder das Profil und die Inhalte der Zusammenarbeit der DDR-Auslandsaufklärung“ mit bestimmte. Sie lieferte oft brisante Informationen aus der BND-Zentrale in Pullach, die der Gegenspionage und der Spionageabwehr der DDR Hinweise auf Operationen und Angriffe der Gegenseite lieferten, die ein rechtzeitiges reagieren ermöglichten.

Mit seinem neusten Buch (dem fünften Band der Porträtreihe über Topspione der HVA, darunter Rainer Rupp – „Topas“ – und Johanna Olbrich – „Sonja Lüneburg“) vertieft Klaus Eichner, der als Experte für westliche Geheimdienste viele Jahre in der HVA arbeitete, mit „Agentin in der BND-Zentrale. Gabriele Gast im westdeutschen Spionagezentrum“ in Selbstzeugnissen, eigenen Erinnerungen und Dokumenten das Wissen über eine der erfolgreichsten Kundschafterinnen der DDR. In langen Passagen gibt Gabriele Gast in ehrlicher Weise einen bisher kaum bekannten Einblick in ihre harte und entbehrungsreiche Arbeit an der unsichtbaren Front, in die aus der strengen Konspiration resultierende Einsamkeit einer Kundschafterin, die trotzdem ihrem behinderten Pflegesohn eine liebevolle Mutter war. Sie erkannte durchaus die Schwächen und Defizite der DDR, war aber immer davon überzeugt, dass der Sozialismus der richtige und gangbare Weg war, auf dem auch diese Probleme gelöst werden konnten. „Trotz aller Fehler und Erstarrungen im Realsozialismus – unsere Grundüberzeugungen haben sich weder als falsch erwiesen noch sind sie passé, wie der Neokapitalismus und Neomilitarismus, die sich nun gar erdreisten, im Gewand der Humanität daherzukommen, belegen“. An anderer Stelle kleidet sie ihre Überzeugung in die Worte; „Nichts bleibt, wie es ist.“

Mit zu begrüßender Schonungslosigkeit bringt Gabriele Gast das Gebaren von Wendehälsen und den Verrat von einstigen Weggefährten zur Sprache. Nicht nur das erbärmliche Verhalten ihres Geliebten und Partners in der HVA im Prozess gegen sie 1991, sondern auch die zwielichtige Rolle des langjährigen HVA-Chefs Marcus Wolf, der über lange Zeit persönlich ihr Führungsoffizier war. Seine Eitelkeit und sein Drang, aus der Anonymität des „Mann ohne Gesicht“ herauszutreten und seine familiären Probleme, machten ihn zu einem Sicherheitsrisiko, was im Mai 1986 zum eigentlichen Grund seiner Entlassung „Knall und Fall“ wurde und für einen Geheimdienst „schlicht eine Katastrophe“ bedeutete. Das müsse ihm, so Gabriele Gast, „furchtbar zugesetzt haben“ und sie habe ihn in jenen Tagen als „ein Häufchen Elend, ganz in Mitleid verfallen“ erlebt. Vor diesem Hintergrund „begann Wolf auch noch, sich in eine politische Oppositionsrolle innerhalb der DDR zu argumentieren“ und „sich als Parteigänger Gorbatschows politisch zu profilieren“. Klaus Eichner sekundiert: „Von einer kritischen Distanz, die er post mortem gegenüber der DDR und deren Führung verspürt haben wollte, hatte damals in seiner Umgebung niemand etwas mitbekommen“.

Gabriele Gast gehörte zu den Mitbegründern der Initiativgruppe „Kundschafter des Friedens fordern Recht“, die für die Rehabilitierung der westdeutschen Mitarbeiter der HVA streiten, deren Verurteilung gegen das Gleichheitsprinzip des Grundgesetzes verstieß, während die ostdeutschen Mitarbeiter straffrei ausgingen, weil sie, wie der Bundesgerichtshof urteilte, in Übereinstimmung mit den Gesetzen gehandelt hätten. Gabriele Gast spannt den Bogen bis zu Amtsträgern der DDR, fragt nach ihrer Haltung und erwähnt den vorletzten Ministerpräsidenten, Hans Modrow, der ihr auf ihre Bitte um Unterstützung mitteilen ließ, sie möge sich „doch um Hilfe und Unterstützung an die Kirche als karitative Organisation wenden“. In scharfer Form rechnet die einstige „Kundschafterin des Friedens“ mit dem Verrat der Genossen in der „Wendepartei“ PDS ab. Sie zitiert Gregor Gysi, der die Stirn hatte, mir zu sagen, „was sie denn eigentlich wolle“, schließlich „hätte ich gegen die Strafrechtsbestimmungen meines Staates verstoßen!“ Kein Wunder, dass es die von Gysi geführte Partei auch hinnahm, dass der Bundestag 1992 rückwirkend alle in Ostdeutschland seit 1945 verurteilten Westagenten „wegen politischer Verfolgung“ rehabilitierte. Damit wurde, so Gast, „der DDR das Recht eines souveränen Staates abgesprochen, sich strafrechtlich gegen Spionage zu schützen“. Außerdem erhielt die Organisation des Hitlergenerals Gehlen „damit sozusagen den nachträglichen Persilschein: Sie ist seit dem 8. Mai 1945 laut diesem ‚SED-Unrechtsbereinigungsgesetz‘ demokratisch völlig legitimiert.“ Diese unterwürfigen Verhaltensweisen brachte Ga-

briele Gast auch vor der PDS-Bundestagsgruppe bei einer Anhörung im März 1995 unverblümt zur Sprache. Dass Gabriele Gast unerbittlich auch den Verräter, der sie der BRD-Justiz ans Messer geliefert hatte, einen Oberst Karl-Christoph Großmann (nicht verwandt mit dem letzten HVA-Chef Werner Großmann) ausfindig machte und ihm ihre Verachtung ins Gesicht sagte, soll hier nur als Fakt angemerkt werden. Schließlich fragt Gabriele Gast auch noch, ob es rechtens sei, „die KGB-Agenten in der Ex-DDR unbehelligt zu lassen, nur weil die Lubjanka zum Partnerdienst des BND mutierte? Oder soll man etwa an ein weiteres Vereinigungsmärchen glauben, wonach das KGB in der DDR nur auf offiziellem Parkett präsent gewesen sei oder gar bei seinem Rückzug nach Moskau seine Quellen im früheren ‚Bruderstaat‘ den neuen Freunden in Pullach überlassen hat?“

Die Aussagen von Gabriele Gast zeugen in ihrer politischen Klarheit und Konsequenz von einem ungebrochenen Kampfeswillen mit dem sie nach den Worten Bert Brechts zu den Stärksten gehört, die ihr Leben lang kämpfen. Wie sagte Brecht: „Diese sind unentbehrlich“

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"Ungebrochen", UZ vom 30. Oktober 2015



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