Ein namenloses Dorf in der polnischen Provinz. Man grüßt sich mit „Gelobt sei Gott“, dem Bürgermeister gehört auch das Sägewerk, der Dorfpfarrer Tomasz ist ein Trinker und muss zum Entzug, obendrein spaltet ein mysteriöser Unfall die fromme Gemeinde. Eine Szenerie wie aus der Zeit gefallen, wie aus der fernen, hinterwäldlerischen Vergangenheit. Und ausgerechnet hier landet der junge, aus dem Jugendknast frisch auf Bewährung entlassene Daniel, die Hauptfigur in Jan Komasas vielfach ausgezeichnetem Spielfilm „Corpus Christi“ (jetzt auch hierzulande in den Kinos). Komasa, mit 38 Jahren Polens neuer Regie-„Shootingstar“, hatte mit „Suicide Room“, seinem Kinodebüt über die Gefahren des Internet, schon 2011 weltweit Aufsehen erregt. Drei Jahre darauf legte er mit „Miasto 44“ einen Blockbuster um eine junge Liebe während des Warschauer Aufstands von 1944 vor und hatte just zur Premiere von „Corpus Christi“ schon seinen vierten Spielfilm „Hater“ abgedreht!
Komasas Hauptfigur Daniel soll eine Arbeit im Sägewerk aufnehmen, aber dass daraus nichts werden kann, haben Komasa und sein Drehbuchautor Mateusz Pacewicz (Jahrgang 1992!) schon in den ersten, schnellen Bildern geklärt: Im Knast steht Daniel Schmiere, wenn seine Kumpels einen Mithäftling brutal vergewaltigen, gleich darauf assistiert er mit schäbigem Grinsen dem Gefängnispfarrer bei der Messe und äußert sogar den Wunsch, selbst Priester zu werden. All dies ist nur der Anlauf zu einer wahren Achterbahnfahrt der Gefühle, auf die Regie und Drehbuch ihren Daniel (gespielt von Jungstar Bartosz Bielenia) hier schicken. Mehr noch: statt im Sägewerk ereilt ihn ausgerechnet in der Dorfkirche seine „Berufung“ zum Priester, der er mit einigen Täuschungstricks kräftig nachhilft, bis schließlich jeder im Dorf ihn als neuen Pfarrer Tomasz akzeptiert.
„Dieser Film beruht auf wahren Begebenheiten“, behauptet der Vorspann, und dies ist wie so oft schon die erste Lüge. Den Fall eines „falschen Pfarrers“ mag es im gläubigen Polen durchaus gegeben haben, aber der war für Komasa und Pacewicz offenbar nicht dramatisch genug, weshalb man – wie das Presseheft enthüllt – den mysteriösen Unfall noch draufsetzte. Mit fatalen Folgen für die Dramaturgie, die nun völlig aus dem Leim zu geraten scheint. Die zahlreichen Nebenfiguren, die so ins Spiel kommen, können kaum Profil gewinnen, bedienen mal Thrillerstimmung mit ihren Zweifeln an Daniels Geschichte, ein andermal mit naiver Frömmelei den Stil einer Heiligenlegende. Komasa ist von dem markanten Schädel und den aus dunklen Höhlen blitzenden Augen seines Hauptdarstellers so fasziniert, dass er ihn ziellos mäandernd durch alle Filmgenres treibt, mit Gewalt wie im Splatterfilm, mit dem eiskalten Blick des Zynikers und dann dem verklärten Blick des religiös Erweckten. Sogar ein kurzes Liebesabenteuer spendiert er ihm – um ihn (und den Zuschauer!) schließlich doch wieder auf den Anfang zurückzuwerfen, als hätte er sich nie für Daniels Probleme interessiert.
Die sprunghafte Erzählweise trägt nicht eben zur Schlüssigkeit der Inszenierung bei. Ein Blick in die Kritiken zu „Corpus Christi“ ist da aufschlussreich: Scheinbar unbegrenzt ist der Spielraum vieler Szenen für allerlei Deutungen und Missdeutungen, so dass eine klare, zielgerichtete Schilderung der Filmhandlung kaum zu finden ist. Umso wunderlicher, dass es dennoch Lob und „Sternchen“ regnet. Aber das meint man wohl einem „Shootingstar“ schuldig zu sein – oder den verbreiteten religiösen Empfindlichkeiten?