Die Reaktionen der Unternehmensverbände auf die Vorstellung des Koalitionsvertrags zwischen Union und SPD erinnern ein wenig an den Titel eines bekannten Kinderbuchs: Die kleine Raupe Nimmersatt. Durch den eigentlich schon abgewählten alten Bundestag in einer Sondersitzung mit Kriegskrediten ohne Limit bereits reich beschenkt, entlockte die in der vergangenen Woche im Koalitionspapier fortgeschriebene Umverteilungspolitik von unten nach oben dem heimischen Kapital allenfalls noch ein müdes Lächeln.
„Der Anfang ist gemacht, mehr Mut muss folgen“, kommentierte beispielsweise die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) die Vereinbarungen der zukünftigen Regierungspartner. Die Bewertung des Bundesverbandes deutscher Banken ging in die gleiche Richtung. Das Papier enthalte wichtige Punkte für dringend nötige Strukturreformen, etwa auf dem Arbeitsmarkt, zum Bürokratieabbau und beim Thema Steuern. Man hätte sich aber an der einen oder anderen Stelle noch mehr gewünscht, so dessen Vorsitzender Christian Sewing.
Auch nach Ansicht der Stiftung Familienunternehmen und Politik weist der Koalitionsvertrag in die richtige Richtung. Es sei zu begrüßen, dass „die Koalition von Steuererhöhungen absieht“. Enttäuschend bleibe jedoch, dass der Einstieg in niedrigere Unternehmenssteuern erst 2028 erfolgen soll, so Vorstand Rainer Kirchdörfer. Die Chefin der Automobillobby VDA, Hildegard Müller, stimmt mit Kirchdörfer überein. Und auch Tanja Gönner, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), haut in die gleiche Kerbe: Steuerpolitisch bleibe die Koalition hinter dem Notwendigen zurück.
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), der BDI und der VDA hoben in ihren Bewertungen übereinstimmend Subventionen bei Energiekosten, Investitionen in die Infrastruktur und Schritte zum „Bürokratieabbau“ als besonders positiv hervor. „Dass das Lieferkettengesetz abgeschafft werden soll, ist eine großartige Nachricht“, freute sich beispielsweise BDA-Präsident Rainer Dulger.
Einig sind sich die unterschiedlichen Kapitalfraktionen darin, dass die beschlossenen Reformen nun schnell umgesetzt werden müssen. Zugleich wird beim Sozialabbau mehr Tempo angemahnt. So vermisst der BDA eine Reform der Sozialversicherungssysteme: „Die Folge wird sein, dass die Sozialbeiträge weiter steigen“, befürchtet Dulger. Insbesondere die Festsetzung des Rentenniveaus werde die Arbeitskosten der Unternehmen erhöhen, flankierte Monika Schnitzer, Vorsitzende der „Wirtschaftsweisen“, in den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Schon während der Koalitionsverhandlungen hatten rund 100 Unternehmerverbände, darunter BDA und BDI, in einem Positionspapier angemahnt, dass die Sozialversicherungen maximal 40 Prozent der Lohnkosten ausmachen dürfen, und Einschnitte bei Renten- und Gesundheitsleistungen gefordert. „Ohne eine Begrenzung der Sozialbeiträge wird es keinen nachhaltigen Aufschwung geben“, heißt es in dem Papier. Konkret müsse die Bundesregierung im Rahmen einer Rentenreform das Eintrittsalter von 67 Jahren erhöhen und zudem die frühzeitige Rente mit 63 abschaffen. Außerdem müsse das Renteneintrittsalter ab 2031 wieder ansteigen und eine Pflicht zur privaten Altersvorsorge eingeführt werden.
Darüber hinaus sei eine grundlegende Reform des Gesundheitswesens notwendig. Ein entsprechendes Gutachten des BDA sieht vor, das Krankenversicherungssystem mit einem strikten „Versorgungsmanagement“ zu reformieren. Einzelne Versicherte sollen durch Selektivverträge nur noch von vorgegebenen Krankenhäusern und Ärzten behandelt werden.
Im anfangs erwähnten Kinderbuch von Eric Carle verwandelt sich die kleine Raupe, nachdem sie sich durch eine Vielzahl von Lebensmitteln gefuttert hat, am Ende der Geschichte in einen wunderschönen Schmetterling. Bei unseren Kapitalisten besteht hingegen keinerlei Aussicht auf eine Metamorphose zu etwas Besserem. Nachdem sie mit Subventionen in dreistelliger Milliardenhöhe gefüttert wurden, zeigen sie sich noch unersättlicher.