Bochum-Langendreer, Kino „Endstation“. Der Name passt zum Programm, irgendwie. Man hat zumindest das Gefühl, die direkte antifaschistische Gegenwehr gegen alte und vor allem neue Nazis wird langsam, aber deutlich ins Abseits gedrängt. Zu sehr nisten sich faschistische Bierzeltparolen immer mehr in der Mitte der Gesellschaft ein.
Die fünf ErzählerInnen, die in „Antifa – Schulter an Schulter, wo der Staat versagte“ begleitet werden, zeigen Gesicht, im wahrsten Sinne des Wortes. Keine Masken, vors Gesicht gezogene Kapuzenpullover, keine verstellten Stimmen. Kein „Monitor“-Journalismus. Fünf Menschen, die erzählen, wie sie sich gewehrt haben in den 90er und 00er Jahren gegen rasant aufkommende neue faschistische Gruppierungen und Bewegungen. Mutig.
Und das mit gänzlich unterschiedlichen Ansätzen: Von Demos, Konzerten, von militanten Aktionen über Aufklärungskampagnen und Jugendarbeit bis hin zu investigativen Recherchen. Alle fünf sind authentisch und klar, und – zumindest mein Gefühl – auch sehr reflektiert. Was eigene Fehler angeht, was man hätte mehr, besser, anders machen müssen.
Da ist die eine Gruppe, die – nach rechten Pogromen – einfach mit 30 Leuten in acht alten Autos in den Osten fährt, um ein Haus von „Gastarbeitern“ vor dem rechten Mob zu schützen. Und wir reden hier über die sogenannten „Baseballschlägerjahre“! Da ist es möglich, plötzlich auf eine Überzahl von bewaffneten Dorfnazis zu treffen. „Wir haben das halt einfach gemacht. Das war keine Frage. Das war unser Leben.“
Da ist eine andere Gruppe, die alles recherchiert, sortiert, archiviert. Die so weit geht, dass sich einige Mitglieder als Zeitungswerber verkleiden, bei Faschisten klingeln und so über ein fingiertes „Freiabo“ Namen, Adressen, Telefonnummern und Unterschriften bekommen.
Da ist eine kleine Gruppe junger Proleten – Joggingbuxen, Popperhaarschnitt, weiße Turnschuhe, was die Jugend damals so trug –, die sich nach der „Wiedervereinigung“ zusammengetan haben gegen die Nazis. „Wir sind ja so eher links und Bullen kommen hier schon lange nicht mehr hin. Da haben wir eine Gang gegründet und uns ‚Red Cops‘ genannt.“ Drei von vielen Beispielen.
Das alles wird dokumentiert durch Archivmaterial, Fotos, Videos und szenische Alltagsbilder der damaligen Zeit. Ein spannender Versuch der Filmemacher Steffen Maurer und Marco Heinig, die „Antifa“ jener Zeit einzufangen. (Hier ein kleiner Einschub: Es gibt „Die“ Antifa nicht. Das versuche ich bei dummen Sprüchen im Bekanntenkreis immer wieder zu erklären. Meine Mutter war Antifa, bis ins hohe Alter. Ich bin Antifa. Meine Tochter ist Antifa, seit sie zehn ist. Verschiedenste Freundinnen und Freunde sind „Antifa“. Jede/r auf ihre/seine eigene Art.)
Kritik? Ja, auch. Die „investigative Recherche“ drängelt sich im letzten Drittel doch sehr in den Vordergrund. Auch wird zu häufig wiederholt, wie weit der Mensch (körperlich) gehen darf beim Kampf gegen Faschisten. Es fehlt – meine Meinung –, dass es zu der Zeit auch eine starke „Migrantifa“ gegeben hat. Also der organisierte Widerstand von Migranten gegen Nazis. Und, bis auf wenige Sätze oder Szenen, was eigentlich der Staat, die herrschende Regierung, mit dem Ganzen zu tun hatte und hat.
Trotzdem. Ein Film für die etwas Älteren wie mich, die Erinnerungen auffrischen können und einiges noch nicht kannten. Ein Film vor allem für die Jungen, die lernen können. Aus einer Zeit, in der es keine Handys, keine Navis, kein Internet gab. Und der Widerstand trotzdem organisiert wurde. Keine/r möchte wissen, wie viel noch schlimmer es heute wäre, hätte es diese starke Gegenwehr nicht gegeben.
Tipp: Reingehen. Und die Kinder/Enkel mitnehmen. Also die ab 12 bis 14.
„Antifaschist für immer, für immer!“ (Irie Révoltés)
Steffen Maurer und Marco Heinig
Antifa – Schulter an Schulter, wo der Staat versagte
Städte und Termine unter antifa-film.de