UZ: 50 Jahre „Blumen für Stukenbrock“. Was ist deine Bilanz?
Elfriede Haug: Was ist in dem Kriegsgefangenenlager geschehen? Wer kam dorthin? Wie viele Tote? Das alles war nicht bekannt. Wir haben uns mit Sozialdemokraten, Kommunisten, Gewerkschaftern und Pastoren zusammengesetzt und gründeten 1967 den Arbeitskreis. Unsere Informationen zu dem Gefangenenlager bekamen wir überwiegend über die sowjetische Botschaft und durch Überlebende des Lagers. Wir konnten die Gemeinde dazu bewegen, Wegweiser aufzustellen. Vorher wussten nicht einmal Menschen aus der Umgebung, wo das sowjetische Kriegsgräberfeld liegt.
Über die sowjetische Botschaft und Presseagenturen konnte unser Arbeitskreis Kontakt zu Überlebenden aufnehmen. Diese haben wir dann mit dem Verein der Kriegsveteranen in der Sowjetunion nach Stukenbrock eingeladen. Die ersten Überlebenden kamen 1970, danach kamen sie jedes Jahr mit einer großen Delegation. Ein ehemaliger Zwangsverschleppter kam jahrelang. Inzwischen ist er so alt, dass er seine Enkel schickt.
Der Arbeitskreis hat nach 1990 begonnen, Spenden zu sammeln für die Überlebenden und ihre Angehörigen, weil die Gefangenen keinerlei Entschädigung bekommen haben. Wir haben bis vor Kurzem noch 30 Überlebende betreut, heute sind es noch fünf. Wir werden weiter Spenden sammeln, weil unsere Arbeit weitergehen muss.
UZ: Erfahrt ihr durch die die Gemeinde und die Landesregierung Unterstützung für eure Arbeit?
Elfriede Haug: Wir bekommen keinerlei Unterstützung, nein. In Nordrhein-Westfalen gibt es gerade mal die Wewelsburg als ein Millenniumsprojekt, die hier Unterstützung bekommt. Aber die Gedenkstättenarbeit, die hier vor Ort geleistet wird, bekommt nicht einen Pfennig Geld von der Gemeinde oder von der Landesregierung. Das einzige, was gefördert wird, ist die Friedhofspflege. Aber NRW und die Groß- und Bergbauindustrie in NRW waren direkte Nutznießer dieser Gefangenenarbeit. Das Land NRW hätte da schon eine große Verantwortung.
UZ: Du bist seit Gründung von „Blumen für Stukenbrock“ aktiv mit dabei. Was war deine Motivation, bei dem Arbeitskreis mitzuarbeiten?
Elfriede Haug: Ich komme aus einem antifaschistischen Elternhaus. Mein Vater war selbst in Esterwegen wegen kommunistischer Arbeit in Haft. Ich habe als Kind unter diesen Dingen gelitten, weil mein Vater einfach weg war. Ich musste mich damit auseinandersetzen, dass „Wegsein“ kein Verbrechen ist, sondern dass während des Faschismus „Wegsein“ ein Teil des Kampfes war. Über Gewerkschafter und Kommunisten kam ich nach Stukenbrock und mache dort seit 30 Jahren Friedhofsführungen. In den letzten zwei Jahren wurde das etwas weniger, weil die Gewerkschaftsschule, die das wöchentlich veranstaltete, geschlossen worden ist. Aber es gibt jetzt schon die Anfrage der russischen Botschaft, mit ihrem Personal hierher zu kommen. Am Ehrenmal des Friedhofs steht: „Und sorget ihr, die ihr noch am Leben seid, dass Frieden bleibt, Frieden zwischen den Menschen, Frieden zwischen den Völkern“. Dieser Spruch ist verpflichtend für mich und sollte es für alle sein.
UZ: Wie schätzt du die heutige Lage ein? Was sind bevorstehende Aufgaben des Arbeitskreises?
Elfriede Haug: Wir brauchen sicherlich noch mehr Beine und müssen noch mehr Kraft entwickeln. Es werden kaum noch Führungen mit Schulklassen durchgeführt. Das sollte sich ändern. Wenn man die Ursachen von Krieg und Faschismus nicht aufarbeitet, wenn man nicht erkennt, wie stark der Rassismus, wie stark die Missachtung des Menschen als „Untermenschen“ gegriffen hat, wiederholt sich die Geschichte. Man setzt Lügen in die Welt, man verunsichert die Menschen, um sie dann gefügig zu machen, ein Land zu überfallen, indem man sagt, wir brauchen das Korn aus den landwirtschaftlichen Gebieten, wir brauchen die Ressourcen dieses Landes und wir brauchen das Öl aus dem Kaukasus und wir müssen unsere Bevölkerung ernähren. Dazu müssen wir der Bevölkerung des überfallenen Landes alles klauen, was es zu seiner Ernährung braucht, dann geht es unserer Bevölkerung gut. Alle diese Dinge haben dazu geführt, dass man im eigenen Land blind war, weil man das, was im Ausland oder im überfallenen Land passierte, nicht sehen wollte. Aber es ist heute noch nicht vorbei, und wir gucken schon wieder zu.
UZ: Was hat sich in den letzten 50 Jahren in eurer Arbeit verändert? Was sind damals und was heute eure Hauptanliegen?
Elfriede Haug: Wir waren vor 50 Jahren die Schmuddelkinder. Wir haben durch eine zielgerichtete Arbeit des Bekanntmachens der Verbrechen der deutschen Wehrmacht erreicht, dass Menschen sich damit auseinandersetzen. Das große sozialistische Lager ist aufgelöst worden. Damals sagte der Arbeitskreis „Blumen für Stukenbrock“: Unsere Arbeit ist damit nicht beendet. Wir arbeiten hier zu sowjetischen Kriegstoten, die unsere Befreier waren. Die Befreiten müssen erkennen, wovon sie befreit worden sind.