Eine Woche lang ertrugen die Sprecher des Kapitals die ungewohnte Situation: Grüne und FDP machen unter sich aus, wen sie zum Kanzler wählen. Zu Beginn der zweiten Woche nach den Wahlen wurden die vier Parteien, die für eine Regierungsbildung ausgesucht wurden, daran erinnert, wo Barthel den Most geholt hat, das heißt, wie die finanzielle Basis des zukünftigen Kabinetts aussieht. Wie bei jedem Kassensturz stellt sich völlig überraschend heraus: Es muss gespart werden.
Am Dienstag berichtete das „Handelsblatt“ auf Seite 1 unter dem Titel „Viele Wünsche, wenig Geld“: Es zeichne sich ab, „dass die künftigen Koalitionspartner vor großen Finanzsorgen stehen“. Zwar rechneten Experten damit, dass sich die Steuereinnahmen besser entwickeln werden, aber in der bisherigen Planung des Finanzministers täten sich „Lücken auf“. Bis 2025 verdreifachten sich laut Institut der deutschen Wirtschaft „allein die Mehrausgaben und Mindereinnahmen dieser Wahlkampfversprechen auf 105 Milliarden Euro“.
Das wird keine Hürde sein. Es gilt der Klassiker des damaligen SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering aus dem Jahr 2006: „Wir werden als Koalition an dem gemessen, was in Wahlkämpfen gesagt worden ist. Das ist unfair.“ Entsprechend verhalten sich die grünen und liberalen Sondierer. Die Grünen heben von Zeit zu Zeit hervor, dass die Koalitionen mit der CDU in Kiel, Wiesbaden und Stuttgart geräuschlos funktionieren, also scheinbar Unvereinbares überbrückt werden kann. Der Rest ist mehr oder weniger Show.
Nach den Kolportagen großer Medien über monatelange Gespräche zwischen Grünen und FDP in versteckten Berliner Restaurants ist man sich in wesentlichen Fragen längst einig, es geht um Details und eine möglichst ruhige Parteimitgliedschaft. Als „Schnittmengen“ zählen die Bürgermedien auf: Die FDP will die Bevölkerung durch höhere Energiepreise per „Markt“ schröpfen, die Grünen möchten „ordnungspolitische“ Eingriffe, wie zum Beispiel den Kohleausstieg 2030. Christian Lindner will kein Verbot von Verbrennermotoren, die Grünen wollen ab 2030 keine mehr haben. Erledigt hat das VW-Chef Herbert Diess durch eine Zehn-Punkte-Vorgabe für die künftige Regierung: Der Verbrenner fällt wegen Umstieg auf Batterie einfach weg. Der Profit wird großartig gesteigert.
Die FDP will Steuern senken, die Grünen einige erhöhen. Das Ei des Kolumbus ist aber gefunden: Investitionen für technologischen Wandel sind entscheidend. Hauptsache sei, so der grüne Verhandler Oliver Krischer, dass wir beide „unser gemeinsames Ziel erreichen“. Die zwei Parteien sind deswegen für sogenannte Superabschreibungen bei Investitionen für Klimaschutz und neue Technik. Differenzen liegen in Laufzeiten. Und wenn schon die Kasse leer ist, dann erfinden beide eben „Staatsfonds“, die Kredite außerhalb der Schuldenbremse aufnehmen. Ähnlich einig ist man sich über eine Reform der Einkommensteuer und die Senkung (FDP) oder Erhöhung (Grüne) der Steuern für Spitzenverdiener: Beides lässt sich zeitlich strecken.
So stehen die Chancen gut, dass die kommende Regierung unabhängig vom Parteibuch des Kanzlers dort weitermachen kann, wo die scheidende aufgehört hat: Der Umverteilung von unten nach oben neuen Schwung verleihen für die schöne neue Welt der Digitalisierung und des Klimaschutzes. Wie das aussehen wird, illustrierte „Der Spiegel“ am Beispiel des neuen baden-württembergischen Finanzministers Danyal Bayaz. Der Grüne habe „salopp“ die Forderung seiner Partei nach einer Vermögensteuer abgeräumt. Seine Finanzbeamten seien bereits gut beschäftigt. Falls „sie jetzt auch noch jährlich Oldtimer zählen und Picassos bewerten müssen, wäre das gar nicht zu leisten“. Die Sorgen des Kapitals sind unberechtigt.