Über Internationalismus und die internationale Arbeit der DKP • Ein Gespräch mit Günter Pohl

Unbeschreibliche Solidarität

UZ: Du hast in den letzten Jahren die internationale Arbeit der DKP verantwortet. Die DKP hat Beziehungen zu so unterschiedlichen Kräften wie der Fortschrittlichen Volkspartei aus Guyana, der Kongresspartei für die Unabhängigkeit Madagaskars und der Kommunistischen Partei Kubas. Wie und nach welchen Prinzipien gestaltet die DKP diese Arbeit?

Günter Pohl: Ich überblicke die internationale Arbeit der DKP seit mehr als zwanzig Jahren, zunächst als Teil der Internationalen Kommission, dann seit 2008 mit einer kurzen Unterbrechung als deren stellvertretender und ab 2013 als deren verantwortlicher Leiter. Ich denke, ein Merkmal in diesem Zeitraum war die kontinuierliche Verbesserung unserer Aktivitäten im Sinne einer Verbreiterung beziehungsweise Erweiterung. Nehmen wir das Beispiel der „Progressive People‘s Party“ aus Guyana: Es wurde ab etwa 2001 Zusammenarbeit mit allen Kräften in Amerika gesucht, nicht allein mit der KP Kubas oder sporadisch mit der KP der USA, wie es in den 90er Jahren de facto der Fall war. Bei diesem Kontinent waren wir in dieser Hinsicht erfolgreicher als zum Beispiel in Afrika, wo unser Zugang komplizierter ist, was auch an uns, aber vor allem in den Strukturen der dortigen kommunistischen Bewegung begründet liegt. Und deswegen ist es so, dass wir 2016 einen Vertreter der PPP bei unserem Pressefest hatten und uns zuweilen bei Parteitagen austauschen oder Grußworte versenden – und mit der von dir angesprochenen AKFM aus Madagaskar bis dato keinen Berührungspunkt haben. Dennoch haben wir im afrikanischen Kontinent ein paar neue Kontakte knüpfen können, die zum Beispiel im Falle der KP Swasilands zu einem engen Austausch geführt haben.

In Asien sind wir mit gezielten Schritten planmäßig vorangekommen. Stark verbessert ist unser Verhältnis zu den Kommunistischen Parteien in den asiatischen Staaten, die den Sozialismus aufbauen, und kontinuierlich arbeiten wir mit Parteien des Nahen und Mittleren Ostens zusammen. Lücken bleiben aber: Vor allem Nepal mit seinen starken KPen wäre eine Aufgabe der nächsten Internationalen Kommission.

UZ: Und Europa?

Günter Pohl: Hier hat sich ebenfalls eine qualitative Änderung vollzogen. Zum einen sind hier nahezu alle KPen in engem Austausch mit uns, und da ist zu konstatieren, dass bis vor einigen Jahren der Schwerpunkt auf Westeuropa beziehungsweise KPen aus EU-Staaten gelegen hatte. Das haben wir erweitert. Es hat aber auch eine qualitative Neuerung gegeben, denn konkrete Aktivitäten für vom Verbot bedrohte Parteien – da denke ich an die KP Polens oder die KP der Ukraine – oder Solidarität mit den Volksrepubliken im Donbass sind in Europa schon fast zu einem Markenzeichen nicht nur, aber konkret auch der DKP geworden, namentlich durch die Genossin Renate Koppe.

Dabei ist gerade in unserem Kontinent, der der natürliche Schwerpunkt unserer Arbeit ist, die Zusammenarbeit durch die Spaltungstendenzen kompliziert.

UZ: Welche meinst du?

Günter Pohl: Die Gründung der Partei der Europäischen Linken hat seit 2004 objektiv einen Spaltkeil in die kommunistische Bewegung getrieben, und möglicherweise war das auch ein Ziel der in der ELP agierenden nichtkommunistischen Kräfte. Die DKP hat sich diesen Prozess mit ihrer beobachtenden Mitgliedschaft in der ELP seit 2006 näher angeschaut, und die Jahre ab dem 19. Parteitag – also ab 2010 – haben uns bis 2016, als wir dann den Beobachterstatus beendet haben, zu einer fundierten Haltung gebracht. Andere KPen dagegen, die aus einem Verständnis grundsätzlicher Art nie mit der ELP zu tun haben wollten, haben in Europa um 2013 die „Initiative“, einen Zusammenschluss, gegründet. Wir respektieren das, sagen aber klar, dass das nicht unser Weg ist. Denn wir glauben, dass eine Zusammenarbeit auf ideologischer Basis vor allem eine Abgrenzung darstellt; insofern unterscheidet sich das kaum von der ELP-Gründung.

UZ: Aber die DKP betreibt doch auch die sehr erfolgreiche Zusammenarbeit mit der KP Luxemburgs, der Neuen KP der Niederlande und der Partei der Arbeit Belgiens im Rahmen der Vier-Parteien-Konferenz. Wo ist der Unterschied?

Günter Pohl: Dass wir dort keine ideologisch motivierte Zusammenarbeit haben, wenn wir heute auch in den allermeisten Themen gleiche Sichtweisen haben. Unsere Zusammenarbeit ist regional motiviert und auf konkrete Themen bezogen, die in den vier Ländern von Wichtigkeit sind. Das mag man auch daran ermessen, dass es seitens der jeweils anderen drei Parteien bis 2008 mit der PTB, aber zwischen 2010 und 2013 auch mit der DKP erhebliche Meinungsverschiedenheiten gab, die aber niemals die gemeinsame Konferenz in Frage stellen konnten. So arbeitet übrigens auch die später entstandene „Nordische Konferenz“ – ein Treffen der in manchen ideologischen Fragen äußerst unterschiedlichen KPen Skandinaviens und der Russischen Föderation; auch dort spielen Differenzen keine Rolle. Und so war auch der Ansatz unserer Ostsee-Friedenskonferenz in Kiel, die wir im November 2018 mit der DKP Schleswig-Holstein organisiert hatten und die möglicherweise dieses Jahr eine Fortsetzung findet.

UZ: Die Belgier haben nun angekündigt, die Vier-Parteien-Konferenz zu verlassen. Was waren die Gründe der PTB für diesen Schritt?

Günter Pohl: Die PTB hat mit ihrem Sitz im EU-Parlament neue, umfangreichere Aufgaben. Sie will also ihren Schwerpunkt mehr auf die ganze EU-Ebene, dabei wiederum konkreter auf die Länder legen, die in der EU eine wesentliche Rolle spielen. Wir teilen diese Linie nicht, respektieren sie aber im Rahmen unserer Festlegungen für den Umgang mit Positionen befreundeter Parteien. Gut ist, dass die PTB mit allen drei KPen die bilateralen Beziehungen wie bisher weiterführt; ihr Schritt wird als nicht ideologisch beschrieben.

Wir bedauern das Ausscheiden der belgischen Partei zutiefst. Bei einem Treffen mit NCPN und KPL haben alle Beteiligten vergangene Woche bekräftigt, dass die Konferenzen weitergehen werden, denn ihr Nutzen war seit 2006 enorm.

UZ: Wenn du auf die letzten fünf Jahre blickst, was ist dir in besonderer Erinnerung geblieben? Gibt es Veränderungen in der internationalen Zusammenarbeit?

Günter Pohl: Ja, es gibt Änderungen. Wie eben schon angedeutet, werden ideologische Auseinandersetzungen anders geführt. Aufgepasst – ich sage nicht, es seien mehr geworden. Denn Debatten um den richtigen Weg gab es erstens schon immer, und zweitens sind diese notwendiger Bestandteil des Marxismus und der dialektischen Suche nach Möglichkeiten, die im Fluss befindliche Wirklichkeit im Hegelschen Sinne aufzuheben, im Marxschen Sinne zu verarbeiten und im Leninschen Sinne in vorwärts treibende Aktion zu überführen. Ich bedaure aber, dass die Differenzen öffentlicher geführt werden als früher, und zwar weniger inhaltlicher Art mit einer Suche nach dem richtigen Weg, sondern leider mehr abgrenzend. So gibt es KPen, die in Erklärungen Urteile über Bruderparteien abgeben. Insgesamt fehlt es an Geduld, aber auch an Klugheit.

UZ: Worauf führst du das zurück?

Günter Pohl: Wie im „richtigen Leben“ wächst die Intoleranz, mit anderen Meinungen oder auch mit Uneindeutigkeiten leben zu können. Wir müssen genau dieses Verhalten ja auch in der eigenen Partei beobachten. Mitglieder verlassen uns, weil ihnen grundsätzliche Übereinstimmung mit den Zielen der Partei nicht reicht; ihre Kritik ist nicht selten bei internationalen Fragen zu finden, die ja in unserer täglichen Politik in Deutschland, hinsichtlich unserer eigenen Arbeiterklasse, hinsichtlich betrieblicher Auseinandersetzungen, hinsichtlich unseres Wirkens auch in Bewegungen zunächst einmal gar nicht relevant sind. Es scheint also, dass zur Selbstvergewisserung ein Orientieren an „Linien“ ausländischer, vermeintlich erfolgreicherer Parteien für manche unabdingbar ist. Das korreliert damit, dass ein Antrag die Delegierten des bevorstehenden Parteitags mittels einer rein mythenbasierten Positivauswahl zu einem Herausheben des revolutionären Kuba gegen andere revolutionäre Länder verleiten will – was unserer Partei perspektivisch nicht nur über Jahrzehnte bewährte Zusammenarbeitsstrukturen gefährden würde, sondern auch von keinem der in eine dadurch von der DKP festgelegte Rangfolge versetzten Staaten geteilt würde. Andere wiederum gründen ein „Netzwerk“ in der DKP, obwohl sie früher gegen solche Separatstrukturen selbst berechtigterweise Parteiausschlüsse in die Wege geleitet haben; oder ein Bezirksvorstand gibt am Parteivorstand vorbei eine internationale Erklärung ab, die noch dazu auf Unterstützung terroristischer Militärmethoden des Imperialismus hinauslief.

Was es nicht besser macht: Manche dieser Verhaltensweisen geschehen ganz ähnlich auch in anderen Kommunistischen Parteien. Meine Sorge ist, dass das schon quasi-religiöse Sendungsbewusstsein Einzelner manchen der kleineren Kommunistischen Parteien in Europa den Rest geben wird. Davon ist die unsere nicht ausgenommen.

UZ: Wo bleibt denn das Positive? Was ist mit der internationalen Solidarität?

Günter Pohl: Ich erinnere mich in der Summe natürlich mehr an das Positive; und zu einer Analyse gehört ja beides.

Kürzlich hat sich die Kommunistische Partei von Aotearoa gegründet; so heißt Neuseeland in der Sprache der Maori. Der Enthusiasmus, mit dem die Genossinnen und Genossen an das – vermutlich äußerst komplizierte – Werk gehen, kann nur begeistern. Auch der Dank, der uns für manche internationalistische Hilfe zukommt, entschädigt für anderes. Mich haben die Aktivitäten anderer Parteien aber ebenso beeindruckt, ob es die manchmal spektakulären Aktivitäten der griechischen PAME sind oder der Kampf der KP Venezuelas oder der Sudanesischen KP. Kaum zu glauben, wie inmitten einer Mordwelle die Kolumbianische KP selbst noch Solidarität mit Kuba ausübt, oder was von der KP Spaniens für die Sahraui getan wird.

UZ: Hat sich irgendwo eine besonders enge Zusammenarbeit ergeben?

Günter Pohl: Es kann ja gar nicht ausbleiben, dass es mit manchen Parteien mehr Kontakte gibt als mit anderen. Die KP Kubas prägt die Arbeit in unserer Internationalen Kommission ganz anders als die AKFM aus Madagaskar, um zu deiner Eingangsfrage zurückzukommen. Und wen du häufiger siehst, den lernst du besser kennen. Nicht selten – aber auch nicht zwangsläufig – wird daraus auch ein Vertrauensverhältnis. In einem idealisierten Sinn unserer Parteidiplomatie muss das Ziel aber immer eine Gleichwertigkeit sein.

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Günter Pohl auf dem 22. Parteitag (Foto: Tom Brenner)

Bei den Parteien sind solche beeindruckend, die dezent und unaufgeregt eine auf Langfristigkeit angelegte Politik verfolgen, was größeren Parteien natürlich leichter fällt, weil einzelne Meinungen geringeres Gewicht haben. Parteien sind immer ein Konglomerat, eine Mischung aus vielen verschiedenen Persönlichkeiten: Einerseits überführen manche Menschen eine „Anti-Haltung“ gegenüber der kapitalistischen Gesellschaft in ihre Parteigruppe, die sie damit blockieren. Und auf der anderen Seite gibt es unglaublich starke Kommunistinnen und Kommunisten, die philosophisch so viel zu geben haben und gleichzeitig kommunistische Praxis bieten – ohne Überhöhungen und ohne Mythos. Mit am meisten hat mich, neben dem einen oder der anderen aus unserer Partei, in diesem Sinne der Kolumbianer Carlos Lozano beeindruckt. Oder der kubanische Genosse Nilo, der mit Tausenden anderen im Bauch eines Schiffs nach Angola übersetzte und dort für die Befreiung afrikanischer Völker sein Leben riskierte, weil er „es der Revolution schuldig war“ – da er heute gleichberechtigt ist, nachdem seine Vorfahren 400 Jahre vorher, ebenfalls im Bauch eines Schiffes, aus Afrika nach Kuba verschleppt worden waren. Diese Solidarität, um Menschen zu helfen, die man nie gesehen hat, ist unbeschreiblich. Und manches, was aktuell geschieht, darf auch gar nicht beschrieben werden.

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"Unbeschreibliche Solidarität", UZ vom 21. Februar 2020



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