Rosa bekommt zu ihrem sechsten Geburtstag eine rote Strickjacke geschenkt. Sie freut sich, als sie den gelben Stern darauf sieht. Endlich ist sie auch ein großes Kind, denn ab sechs Jahren müssen alle jüdischen Kinder auch einen sichtbaren gelben Stern auf ihrer Kleidung tragen. Nun kann ihr niederländisches Kindermädchen sie aber auch nicht mehr einfach so in den Zoo schmuggeln. Denn in den Zoo dürfen Juden schon lange nicht mehr. Ruth, Leo, Klaartje und Rosa haben bis zum Einmarsch der deutschen Wehrmacht in die Niederlande eine normale Kindheit verbracht. Nun leben sie jeden Tag in Angst, dass die Deutschen sie abholen. Immer mehr Familien werden abgeholt und in das Lager Westerbork gebracht.
In „Kinder mit Stern“ erzählt Martine Letterie aus der Perspektive mehrerer Kinder im Grundschulalter, die in den besetzten Niederlanden zunächst immer stärker diskriminiert und bedrängt werden. Weil sie Juden sind, dürfen sie nicht mehr auf den Spielplatz gehen. Sie müssen in spezielle Schulen für jüdische Kinder gehen, anstatt weiterhin mit ihren Freunden die normale Schule zu besuchen.
Als Jules Eltern abgeholt werden, verstecken sie ihn schnell im Schrank. Er soll wenigstens nicht ins Lager, wenigstens er soll gerettet werden. Er ist in Sicherheit. „In Sicherheit vielleicht. Aber ohne Mama und Papa.“ Und auch er landet schließlich im Lager. Gemeinsam mit Hanna muss er in das Waisenhaus des Lagers. Sie wissen nicht, ob sie ihre Familien jemals wiedersehen.
Jeden Tag kommt ein schrecklicher Zug ins Lager Westerbork. Mit einer großen Lokomotive mit düsteren, stinkenden Waggons. In den vielen Waggons werden jede Woche Menschen aus dem Lager abtransportiert. Die Aufseher lesen die Namen derer vor, die mitgenommen werden. Die Kinder wissen nicht, wohin sie fahren. Doch sie wissen, dass keiner der Lagerinsassen von den Fahrten zurückkehrt.
„Kinder mit Stern“ erzählt einfühlsam und aus einer kindlichen Perspektive von der Judenverfolgung. Ohne zu beschönigen trifft die Autorin den richtigen Ton, um auch Kindern das Unvorstellbare begreiflich zu machen. Indem sie schildert, wie sich der Alltag der jüdischen Kinder Schritt für Schritt verändert, können sich auch jüngere Leserinnen und Leser ein Bild davon machen, was unter der deutschen Besatzung in den Niederlanden passiert ist. Allein ein Leben im Lager zu beschreiben mag für Kinder zu abstrakt sein. Das Spielplatzverbot, der Schulausschluss helfen dabei, sich das Leben in den besetzten Niederlanden vorzustellen. Die Bilder von Julie Völk unterstreichen diese Wirkung. So kann dieses wichtige Thema auch schon mit Grundschulkindern bearbeitet werden. Der Carlsen Verlag hat wieder mal ein mutiges Buch veröffentlicht in Zeiten, in denen Kinder ein solches Thema kaum noch zugetraut wird.
Martine Letterie
Kinder mit Stern
Carlsen Verlag, ab circa 8 Jahren
E-Book: 7,99 Euro
Taschenbuch (erscheint im August 2023): 8 Euro