Trotzdem könnten Urteile gegen Zschäpe und Mitangeklagte schon im Juli fallen

Unaufgeklärter NSU-Terror

Von Markus Bernhardt

Noch immer sind die vom neofaschistischen Terrornetzwerk „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) begangenen Anschläge und Morde nicht lückenlos aufgeklärt, trotzdem könnten die Urteile im Münchner NSU-Prozess bereits im Juli fallen. So sieht der bisherige Zeitplan vor, dass die letzten Plädoyers der Anwälte der Angeklagten bis Mitte Mai gehalten werden sollen. Aufklärungsbedarf gibt es hingegen noch genug. Während der Landtag von Mecklenburg-Vorpommern erst in der letzten Woche die Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses beschlossen hatte, weigert sich der Hamburger Senat bis heute, den gleichen Schritt zu tun. Somit ist Hamburg, wo die NSU-Terroristen Mundlos und Böhnhardt am 27. Juni 2001 Süleyman Tasköprü ermordeten, nunmehr das einzige NSU-Tatortland ohne einen entsprechenden Untersuchungsausschuss.

„Viele Fragen sind nach wie vor unbeantwortet, etwa die nach den Hintergründen des Mordes, der Identität der Helfershelfer aus der Stadt und den Gründen für das Totalversagen der Sicherheitsbehörden“, erklärte dazu die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft, Christiane Schneider. „Warum Süleyman Tasköprü? Warum die für den Mord sorgfältig ausgewählte Schützenstraße? Welche Rolle spielte die damals extrem militante Hamburger Neonaziszene um Christian Worch und Thomas Wulff, die intensive Kontakte zum engen Umfeld von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe pflegten? Warum stellten sich die hiesigen Sicherheitsbehörden nicht einmal die Frage nach einem extrem rechten und rassistischen Hintergrund des Mordes?“, monierte die Abgeordnete.

Auch die Initiative „NSU-Watch“, die den Münchner Prozess und die Arbeit der verschiedenen parlamentarischen Untersuchungsausschüsse kritisch begleitet, fordert, dass Hamburg nachzieht und einen eigenen Untersuchungsausschuss einsetzt. „Der Prozess in München und die anderen Untersuchungsausschüsse konnten die Hamburger Fragen nicht klären. Jetzt ist die Hansestadt selbst am Zug“, stellte die Initiative in einer Stellungnahme klar.

Im November 2011 hatte der damalige Hamburger Innensenator Michael Neumann (SPD) den Angehörigen von Süleyman Tasköprü „lückenlose Aufklärung“ zugesichert „Diesem Hamburger Aufklärungsversprechen wurde bis heute in keiner Weise nachgekommen“, beklagte „NSU-Watch“-Sprecherin Caro Keller. Nach wenigen Sitzungen des Innenausschusses, einer knapp 90-seitigen Erklärung und einer Straßenumbenennung erklärte die Hansestadt die Beschäftigung mit dem NSU hingegen für beendet.

„Wenn es um parlamentarische Aufklärung geht, kann nur ein Untersuchungsausschuss mit Akteneinsicht den richtigen Fragen und den Antworten näher kommen. Auf unüberprüfbare Behauptungen durch das Landesamt für Verfassungsschutz und die Hamburger Polizei ist kein Verlass“, so Keller weiter. Zur Erinnerung: Die Hamburger Ermittlungsgruppe ging 2006 in der bundesweiten Ermittlungsgruppe ‚BAO Bosporus‘ massiv gegen den Vorschlag vor, in Richtung eines rechten Motivs zu ermitteln. Die Frage, warum dies so entschieden wurde, ist ungeklärt. Offen ist auch, welche V-Leute das Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg in der Neonazi-Szene führte und welche Informationen diese lieferten.

„Indem Hamburg den NSU zu einem Problem aus Thüringen und Sachsen erklärt,versucht die Stadt, das Thema von sich wegzuschieben,“ sagt Keller und fügt hinzu: „Alles was wir sehen ist, das Hamburg sich mit Ausreden und prestigeträchtigen Aktionen wie der Umbenennung einer Nebenstraße nach Süleyman Tasköprü um die Übernahme von Verantwortung und Aufklärung herumdrückt.“

Auch in anderen Bundesländern mehren sich neue Hinweise auf Aktivitäten der NSU-Kernzelle um Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe. Aktuellen Recherchen der Nürnberger Nachrichten und des Bayerischen Rundfunks zufolge hätten diese sich „öfter in Nürnberg aufgehalten als bislang bekannt“. „Wie ein früheres Szenemitglied jetzt gegenüber den NN und dem BR erstmals sagte, trafen sich die drei in den 1990er Jahren immer wieder mit Unterstützern aus Franken, die Attentate planten. Demnach hatte das rechte Netzwerk zunächst einen Bombenanschlag auf den Nürnberger Justizpalast erwogen. Laut dem Insider wurde auch über weitere Ziele gesprochen“, berichteten die besagten Medien.

Wie erst jetzt bestätigt wurde, nahm 1995 außerdem nicht nur das Kerntrio an einer Party in der Nürnberger Gaststätte „Tiroler Höhe“, die Treffpunkt der neofaschistischen NPD war, teil. Auch die ebenfalls im Münchner NSU-Prozess angeklagten Faschisten Ralf Wohlleben und Holger G. sollen damals zugegen gewesen sein. Die Bundesanwaltschaft hält Wohlleben für eine „steuernde Zentralfigur“.

In Bezug auf die Verbrechen des NSU und dessen Verbindungen in die militante Naziszene aber auch extrem rechte Parteien, gäbe es genug. Diese Aufklärung wurde jedoch bisher maßgeblich von den Inlandsgeheimdiensten, der Bundesanwaltschaft und den Richtern im Münchner Verfahren verhindert.

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"Unaufgeklärter NSU-Terror", UZ vom 4. Mai 2018



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