Was bleibt von einer scheinbar gelungenen Aktion? Auf diese Frage müssen die kohlekritischen Initiativen in der Lausitz eine Antwort finden. Denn die Besetzung des Tagebaus Welzow-Süd durch über 3 000 Umweltaktivisten am Pfingstwochenende stieß von Anbeginn nicht bei allen Initiativen vor Ort auf Begeisterung oder Gegenliebe. Und in der Lausitz könnte die Aktion einen dauerhaften Schaden angerichtet haben.
In den nächsten Wochen erst werde sich zeigen, „welchen Einfluss das Geschehen auf die gesellschaftliche Stimmung und die Diskussionskultur in der Region haben wird“, schrieb René Schuster von der Grünen Liga Cottbus in einer Stellungnahme. Er hätte es lieber gesehen, wenn legale und nicht legale Protestformen nicht vermischt worden wären, was sich dann auch nicht auf die öffentliche Wahrnehmung der Anti-Kohle-Proteste negativ ausgewirkt hätte.
Tatsächlich waren die Presseberichte über das Lausitzer Klimacamp und die Aktionen von „Ende Gelände“ zunächst ausgesprochen wohlwollend: Es wurde über Volksfeststimmung auf der Demonstration am Pfingstsamstag vom Welzower Stadtzentrum nach Proschim berichtet und über den friedlichen Verlauf der gleichzeitigen Tagebaubesetzung. Die Stimmung kippte aber, als über 300 Umweltaktivisten das Gelände des Kraftwerks Schwarze Pumpe erstürmten. Die Polizei, die sich zuvor äußerst zurückhaltend gezeigt hatte, musste schließlich eingreifen und nahm 130 Besetzer vorübergehend fest. In der Presse ist seitdem nur noch von gewalttätigen Auseinandersetzungen die Rede, und konservative Politiker in Sachsen und Brandenburg nutzen die Gunst der Stunde für eine Abrechnung mit Linken und Grünen, von denen Parlamentarier der Tagebaubesetzung beigewohnt hatten.
Wem ihre Solidarität gebührt, zeigte die örtliche Bevölkerung prompt: Nachdem sich die Nachricht von der Erstürmung des Kraftwerks verbreitete, wurde spontan eine Gegendemonstration in Spremberg organisiert, an der sich rund 2 000 Menschen beteiligten. Mehrere Hundert von ihnen zogen dann los, um die Blockaden des Kraftwerks zu beseitigen – auch unter Anwendung von Gewalt. So berichteten Augenzeugen von Handgreiflichkeiten, davon, dass Böller in die Menschenmenge geworfen wurden, dass Nazi-Schlägertrupps den Umweltaktivisten auflauerten, und ein Journalist der taz schrieb davon, dass versucht wurde, sein Auto von der Straße abzudrängen. Seitdem sprechen die Leserbriefe in den lokalen Zeitungen Bände, wie negativ die Aktion von „Ende Gelände“ in der Region angekommen ist.
Das Geschehen am Pfingstwochenende in der Lausitz zeigt das Dilemma der Umweltbewegung, es zeigt den Widerspruch zwischen den großen, bundesweit agierenden Gruppierungen und den lokalen. In der Lausitz zumindest ist das kein neu auftauchendes Problem.
„Ende Gelände“ ordnet sich selbst in die internationale Bewegung für Klimagerechtigkeit ein, und das Aktionswochenende in der Lausitz war Teil der weltweiten Aktionswelle „Break free from fossil fuels“, die auf fünf Kontinenten in zwölf Ländern stattfand. Offensichtlich sollte mit dieser Aktionswelle noch vor Beginn der UN-Klimakonferenz in Bonn, die am 16. Mai startete, gezeigt werden, dass der Widerstand gegen die Nutzung von Öl, Kohle und Gas zunimmt, und die Regierungen endlich den Klimavertrag von Paris mit Leben erfüllen müssen.
So notwendig und ehrenwert dieses Ansinnen ist und so viel Sympathie man selbst dafür aufbringt, kann doch nicht das damit verbundene Problem geleugnet werden: Nachdem solche Aktion vorbei ist, sind auch die Aktivisten wieder weg. Große Bündnisse und Organisationen vermögen es zwar, tausende Menschen für eine Aktion zu mobilisieren, dass diese aber in der jeweiligen Region als Fremde und Feinde wahrgenommen werden, wird oftmals mit einer erstaunlichen Arroganz übergangen. Nicht gesehen wird allerdings, dass das den Energiekonzernen in die Hände spielt, wie in den letzten Jahren auch in der Lausitz immer wieder zu sehen war. Vattenfall und der Kohlelobby gelang es stets, die Menschen der Region mit ihren Ängsten und Sorgen hinter sich zu versammeln und gegen die Angereisten auszuspielen. Auch diesmal verfing die Warnung des Vereins „Pro Lausitzer Braunkohle“ vor den anreisenden „Ökoterroristen“.
Das Wirken der lokalen Umweltaktivisten wird dadurch erschwert: Sie leben nicht nur in der Lausitz und haben ein Interesse an der Region, sie haben auch oftmals Freunde, Bekannte und Familienmitglieder, die vom Energiekonzern beschäftigt werden. Notwendig setzen sie weniger auf spektakuläre Aktionen als auf Mitarbeit in staatlichen Gremien, stete Aufklärung und Werben für einen Strukturwandel in der Region. Viel hängt von ihrer Glaubwürdigkeit ab, die ihnen in der Region durchaus Rückhalt verschafft. Doch diese wird immer wieder untergraben, wenn es der Kohlelobby gelingt, Fehltritte größerer Akteure auszuschlachten.
Die Differenzen zwischen den einzelnen Umweltgruppen, die sich jetzt aufgetan hat, haben eine unterschiedliche Orientierung zur Grundlage: Spektakuläre Aktionen ohne regionalen Rückhalt auf der einen Seite und auf der anderen der eher konservative Versuch, Bewusstheit in einer Region zu schaffen, die vom Braunkohlebergbau lebt.