Der Referent „hat uns mit der Nase darauf gestoßen, dass wir eine gesamtdeutsche Partei sein müssen“, zog der DKP-Vorsitzende Patrik Köbele als Fazit aus der Diskussion, „das war überfällig“. Der DKP-Parteivorstand hat am Samstag darüber diskutiert, wie sich das Bewusstsein der Werktätigen in Ostdeutschland von dem im Westen unterscheidet – und darüber, welche Aufgaben sich daraus für die DKP ergeben, um ihre nach wie vor schwachen Strukturen dort weiterzuentwickeln.
Um dazu eine Einschätzung zu geben und daraus die Anforderungen an die DKP abzuleiten, hatte der Parteivorstand einen Referenten eingeladen, der kein DKP-Mitglied ist: Hans Bauer, Rechtsanwalt aus Berlin, Vorsitzender der Gesellschaft zur Rechtlichen und Humanitären Unterstützung (GRH). In der GRH haben sich vor allem ehemalige DDR-Funktionäre – besonders der bewaffneten Organe – zusammengeschlossen, um diejenigen zu unterstützen, die wegen ihrer Tätigkeit für die DDR verfolgt werden. Außerdem tritt die GRH öffentlich gegen die Verfälschung der DDR-Geschichte auf. Bauer war stellvertretender Generalstaatsanwalt der DDR, bis er nach der Konterrevolution entlassen wurde, heute gehört er der Kommunistischen Plattform in der Linkspartei an. Er war eingeladen worden, um Erwartungen und Kritik an der DKP aus Sicht von Kommunisten im Osten zu formulieren.
Bauer beschreibt, dass nicht nur das Land stärker als wahrgenommen in Ost und West gespalten ist. Auch die Kommunisten seien in ost- und westdeutsche Kommunisten gespalten. Für diese Spaltung seien beide Seiten verantwortlich. In Referat und Debatte sollte es allerdings vorwiegend um die Politik der DKP und weniger um die Arbeit der ostdeutschen Organisationen gehen.
Zwar sei die DKP in den letzten Jahren stärker auf die Besonderheiten im Osten eingegangen und stärker auf an der DDR orientierte Organisationen und Personen zugegangen. Dennoch geht er davon aus, dass die DKP in ihrer Haltung sehr uneinheitlich ist: Ein Teil der DKP-Mitglieder stehe der „DDR und dem Osten“ mit „Desinteresse“ gegenüber, einige sogar mit „Distanz bis Ablehnung.“ Zwar stelle die Partei einzelne soziale Errungenschaften der DDR als positiv heraus. Zu einem umfassenden Bild gehöre jedoch auch, den Charakter der politischen Macht in der DDR zu benennen – und die Notwendigkeit, diese Macht zu sichern. Auch die heutige besondere Situation im Osten spiele in den DKP-Medien eine zu geringe Rolle.
Bauer stellte fest, dass inzwischen auch bürgerliche Kräfte zugeben, dass die Ostdeutschen bei Löhnen und Renten benachteiligt sind – selbst wenn man von Strafrenten und juristischer Verfolgung von DDR-Bürgern absieht. „Ich will an eine Studie erinnern, die das Leibniz-Institut in Halle vor ein paar Monaten herausgegeben hat. Da kam heraus: Das stärkste Bundesland im Osten ist schwächer als das schwächste Bundesland im Westen.“ Was aber noch wichtiger sei, „viel dramatischer für die Befindlichkeit der Ostdeutschen“ seien die „geistig-kulturell-mentalen“ Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen. „Das ist schwer begreifbar, aber überall spürbar: die Demütigungen der Bevölkerung.“ Über die Ostdeutschen behauptet der bürgerliche Mainstream, aber auch große Teile der Linken, dass sie in einem „Unrechtsstaat“ gelebt hätten. Bauer stellt dar, dass damit die Lebensleistung der Menschen missachtet werde, aber auch die „eigene Kultur vernichtet und verfälscht“ wurde. Die in der DDR angeeigneten kulturellen Werte werden nicht mehr anerkannt, „Maßstab ist allein die westdeutsche Kultur“.
Für Bauer geht es dabei um die antikommunistische Geschichtspropaganda gegen die DDR und darum, dass Strukturen und Errungenschaften der DDR nach der Konterrevolution systematisch zerschlagen wurden. Er betont, dass das Gefühl der Demütigung Ergebnis einer Entwicklung sei, die die gesamte Bevölkerung betraf: „Ostdeutschland wurde wie eine Kolonie übernommen und wird noch heute wie eine Kolonie behandelt.“
Gleichzeitig wirkten die früheren Werte noch nach: „Solidarität hat bei uns einen anderen Inhalt.“ Dieses Nachwirken solidarischer Werte und die Erfahrung der Demütigung – das sind für Bauer die entscheidenden Faktoren, die die besondere ostdeutsche Mentalität prägen.
Die Frage der Mentalität sei tatsächlich ein „Knackpunkt“, bestätigte der Rotfuchs-Chefredakteur Arnold Schölzel, der als Gast an der Diskussion teilnahm. Ein anderer Redner hatte vorher eingeschätzt, dass es in Deutschland zwei Nationen gebe, dass der Osten eine „eigene Nationalkultur“ und eine „eigene nationale Mentalität“ ausgebildet habe. Aus Schölzels Sicht geht diese Einschätzung zu weit, dennoch wirke das DDR-Bildungswesen nach. Unter Älteren gebe es auch heute noch ein großes Interesse an der Musik und der Literatur der DDR. Gerade deshalb habe die Regierung und die von ihr finanzierte „Stasi-Industrie“ die Anti-DDR-Propaganda zur „Chefsache“ gemacht – „weil sie die Ostdeutschen nicht geknackt haben“. 30 Jahre lang hätten die Ostdeutschen durchgängig „einen Sirenenton“ zu hören bekommen: „Alles Spitzel außer Mutti“. Heute könne man feststellen, sagte Schölzel: „Die Umerziehung der Ostdeutschen ist gescheitert.“
Die Legende vom „Unrechtsstaat“ pflegt auch die Linkspartei – die allerdings bei den letzten Wahlen Stimmen verloren hat. Köbele befürchtet: „Das wird uns noch auf bittere Weise begleiten“, denn es könne sich im Gedächtnis der Menschen eingraben mit dem Fazit: „Wir haben es zweimal mit links versucht“ – einmal in der DDR, einmal mit der Linkspartei. Wenn sich eine solche Erklärung durchsetze, verstärke das die Bereitschaft, reaktionäre Kräfte wie die AfD zu unterstützen.
Männe Grüß, der aus dem Westen kommt und inzwischen in Potsdam lebt, warnte davor, den Ostdeutschen überheblich zu begegnen. Dazu gehört für ihn auch das unter Westlinken verbreitete Vorurteil, „im Osten gibt es schon ein Naziproblem“. Diese Sicht stelle einem angeblich rückständigen Osten einen angeblich weltoffenen und fortschrittlichen Westen gegenüber. Allerdings gebe es gerade im Osten fortschrittliche Ansatzpunkte im Bewusstsein der Bevölkerung – besonders, weil die Mehrheit dort die NATO-Kriegspolitik gegen Russland und die antirussische Propaganda ablehnt. Für die Landtagswahl am 1. September stellt Grüß als DKP-Direktkandidat daher unter anderem die Losung „Frieden mit Russland“ in den Vordergrund.
Der Parteivorstand plant, dem Parteitag im kommenden Frühjahr einen Antrag zur Lage und zur Arbeit in Ostdeutschland vorzulegen. Außerdem zeigte die Diskussion, dass die Partei ihre besondere Öffentlichkeitsarbeit im Osten weiterentwickeln muss, aber auch die Behandlung des Ostens und der DDR in ihrer bundesweiten Arbeit. Hans Bauer hatte in seinem Referat eingeschätzt: „Das kommunistische Potential im Osten ist weitgehend ungenutzt“, es gebe viele parteilose Kommunisten, die für eine Zusammenarbeit ansprechbar seien. Klaus Leger, im Sekretariat des Parteivorstandes verantwortlich für Finanzen und Öffentlichkeitsarbeit, sagte: Es sei die Aufgabe der DKP, sich den Kommunisten im Osten als ihre politische Heimat anzubieten. Ein Kommunist, der nicht organisiert ist – „das ist doch schwierig“.