Gewinnmaximierung im Wohnungsbau ersetzt städtebauliche Planung

Umdenken in Marburg erforderlich

Von Tanja Bauder-Wöhr

Die Universitätsstadt Marburg belegt bei den Mietpreisen einen Spitzenplatz in Hessen. Die kleine, idyllische Stadt, umrahmt von Bergen, bietet trotz topographischen Eigenheiten verschiedene Möglichkeiten der Wohnbebauung. In Marburg ist, wie in so vielen Städten, zu beobachten, dass in den letzten 15 Jahren eine wichtige Aufgabe freiwillig aus der Hand gegeben wurde: die städtebauliche Planung, die unter anderem Wohnungsneubau und Stadtgestaltung zur Aufgabe hat. Gerade dieses große Feld wurde den privaten Investoren, an erster Stelle ist hier Schreyer und Schreyer (S+S) zu nennen, überlassen. Diesen geht es nicht um bedarfsorientiertes Wohnen, sondern um Gewinnmaximierung. Beispielsweise im Marburger Norden. Dort wurde ein kompletter Stadtteil durch eben erwähnten heimischen Privatinvestor umgestaltet. Der Vermarktungserfolg spielt S+S beträchtliche Erträge in die Taschen. So wurden Wohnungen beispielsweise für 415 000 Euro (vier Zimmer, etwa 122 qm, entspricht etwa 3 400 Euro/qm) oder 315 000 Euro (drei Zimmer, etwa 73 qm, entspricht etwa 4 300 Euro/qm) angeboten.

Doch endlich scheint ein Umdenken auch in Marburg stattzufinden und die städtische Wohnungsbaugesellschaft, GeWoBau (Gemeinnützige Wohnungsbau GmbH), wird beauftragt, neuen und bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Die Stadt hat in den zurückliegenden fünf Jahren eigene und externe Studien in Auftrag gegeben, den Wohnraumbedarf zu ermitteln. Die Analyse erklärte im geförderten Wohnungsbau etwa 800 Wohneinheiten als notwendig. Spannend dürfte vor allem werden, wo gebaut werden soll. Laut Regionalrahmenplan Mittelhessen sind für Marburg zwei potenzielle Entwicklungsgebiete vorgegeben, einmal der Hasenkopf, in Ockershausen/Stadtwald gelegen, und der Rotenberg, zur Marbach zählend. Man muss wahrlich kein Prophet sein, um voraussagen zu können: Lukrative Ein- und Zweifamilienhäuser werden am Rotenberg entstehen, und die GeWoBau wird voraussichtlich am Hasenkopf zum Zuge kommen.

Ein weiteres Spannungsfeld dürfte die Art der Bebauung darstellen. Bei einer ersten städtischen Auftaktveranstaltung im Rahmen der Bürgerbeteiligung wurde schnell deutlich, dass vor allem die Marbacherinnen und Marbacher gegen eine Bebauung mobilmachen, vor allem was die befürchteten „sozialen Wohnklötze“ angeht. Der beliebte Marburger Stadtteil Marbach ist aktuell geprägt von Einfamilienhäusern. Sicherlich sind die vorgebrachten Einwände aus dem Bereich Umwelt- und Artenschutz ernst zu nehmen und müssen genauestens geprüft werden. Jedoch, die polemische Bemerkung sei erlaubt, dass manche Menschen bei ihren sonstigen Entscheidungen nicht allzu viel Wert auf die sonst ebenfalls völlig zu Recht angemahnte Sorgfaltspflicht der Umwelt gegenüber Rücksicht nehmen, etwa im Falle eines überdimensionierten Privatfahrzeugs des Typs SUV. Apropos Autos: Durch die Marbach schlängelt sich eine Hauptverkehrsstraße zu einem der größten Marburger Unternehmen, weshalb als weiterer Einwand gegen eine Bebauung die Gefahr eines Verkehrskollapses angeführt wird. Anstatt eine Verhinderungspolitik zu betreiben, sollte die Chance genutzt werden, bei Erschließung eines neuen Wohngebietes mit Anreizen zu werben, wie attraktivem ÖPNV, Carsharing, Park- und Ride-Plätzen und Jobtickets für die vielen Kolleginnen und Kollegen der in Marbach zahlreichen Behring-Nachfolgefirmen. Da ist Mitgestaltung und Kreativität gefragt.

Das Stichwort Quartiersdurchmischung bietet vor allem in Marburg endlich die Chance, geförderten Wohnraum nicht in den immer gleichen Stadtteilen anzusiedeln. Gerade die Marbach bietet sich an, attraktive, sich ins Stadtbild einschmiegende soziale Wohnformen zu schaffen. Gemeinsam mit der guten Marbacher Nachbarschaft, der gewachsenen Infrastruktur und der GeWoBau kann hier Nachhaltiges erreicht werden. Hierfür lohnt es sich einzutreten. Gewiss entsteht bei einer Erweiterung des Quartiers auch die Notwendigkeit, neue Ruheoasen in der Natur und Begegnungsstätten zu schaffen.

Marburgs Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies prognostizierte bereits Ende April, „dass in naher Zukunft weder sinkende Mieten noch ein Überangebot an Wohnraum zu erwarten ist“. Anstatt, wie in der Vergangenheit geschehen, Privatinvestoren den roten Teppich auszurollen und städtisches Land an selbige zu verkaufen, sollte die Stadt endlich wieder eigenen Boden erwerben, um dieser Entwicklung entgegenzutreten – sie braucht es.

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"Umdenken in Marburg erforderlich", UZ vom 24. August 2018



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