Die Automobilindustrie befindet sich weltweit im Umbruch. Auch die deutschen Hersteller sind mit dem in der Branche anstehenden Strukturwandel konfrontiert. Dieselfahrzeuge werden im Zuge des Skandals um manipulierte Abgaswerte zum Ladenhüter. Dem Elektroautomobil soll die Zukunft gehören. Dementsprechend gibt es Überlegungen zu Ausgründungen, Abspaltungen und/oder Verkäufen von Unternehmensteilen. Schließlich sollen die Profite auch in Umbruchzeiten und Krisen weiterhin steigen.
Bei Daimler hat dieser Wandel zu ersten Neuausrichtungen geführt. Daimler-Chef Dieter Zetsche hat die Überlegungen zur Neuausrichtung des Unternehmens, zum Umbau in eine Holding Ende Juli bei der Vorlage der Zahlen für das erste Halbjahr überraschend bekannt gemacht. Dies hat in der Belegschaft zu einiger Verunsicherung und erheblicher Unruhe geführt.
Im Oktober hat der Daimler-Vorstand erste Schritte für einen Umbau des Konzerns beschlossen. Nach diesen Plänen soll aus der Daimler AG eine Holding werden, unter deren Dach die Autosparte, das Nutzfahrzeuggeschäft und die Finanzdienstleistungen als drei eigenständige Aktiengesellschaften angesiedelt werden. In der Holding sollen nur jene Mitarbeiter verbleiben, die zentrale Aufgaben für alle drei Spartengesellschaften übernehmen. Für die anderen Beschäftigten heißt dies, dass sie einen „neuen Arbeitgeber“ erhalten. Das Bürgerliche Gesetzbuch nennt diesen Prozess einen Betriebsübergang. Das Arbeitsverhältnis geht beim Betriebsübergang zu unveränderten Bedingungen automatisch auf die jeweilige Gesellschaft über. Das gilt auch für den Beschäftigungsort, das Einkommen und das Tätigkeitsgebiet.
Rechtlich gesehen haben Mitarbeiter die Möglichkeit, solch einem Übergang zu widersprechen. Was der Vorstand nicht will, sind Klagen von Beschäftigten gegen den Betriebsübergang. Dies ist ein Grund, warum Daimler einige Zugeständnisse gemacht hat, wie z. B. eine weitreichende Beschäftigungssicherung bis 2030, was einen Ausschluss von betriebsbedingten Kündigungen beinhaltet. Die außertariflichen Zulagen und die effektive Lohnerhöhung wurden abgesichert und die Ergebnisbeteiligung wird für alle Sparten gleich hoch sein. Der Sitz der Daimler AG und der Sparten-AGs bleibt in Deutschland und es gelten weiterhin die IG-Metall-Tarifverträge und die betriebsverfassungsrechtlichen Ansprüche. Zur Sicherung der betrieblichen Altersversorgung werden zusätzlich 3 Mrd. Euro in das Pensionsvermögen einbezahlt. Was die Beschäftigungssicherung wert ist, wird die Zukunft zeigen. Die Erfahrung aus verschiedenen Betrieben lehrt, dass das Kapital sie bei Bedarf auch wieder sehr schnell aussetzt.
Außerdem ist in der Vereinbarung festgelegt, dass der Betriebsrat vom Unternehmen informiert werden muss, wenn neue Produkte produziert oder neue elektronische oder vergleichbare Komponenten in neu geplanten Fahrzeugen eingesetzt werden sollen. Wenn die Arbeitnehmervertretung belegen kann, dass die Fertigung im Unternehmen wirtschaftlich wäre und das Management sich aus strategischen Gründen dennoch für einen Fremdbezug entscheidet, „sind den Arbeitnehmervertretern die Entscheidungsgründe detailliert und nachvollziehbar zu erläutern“, heißt es im Entwurf der Vereinbarung. Dies wird vom Gesamtbetriebsratschef Michael Brecht als deutlicher Fortschritt verkauft. Aber was taugt die Info, wenn es weder Veto- noch Mitbestimmungsrechte gibt? Bei solchen Entscheidungen wird nur der Druck durch die Belegschaft etwas bewirken können. So wie vor einigen Monaten, als die Untertürkheimer Kolleginnen und Kollegen eine sehr kämpferische und erfolgreiche Auseinandersetzung führten. Im Sommer gab es durch die Verweigerung von Überstunden sowie mehrtägige Betriebsversammlungen gehörigen Druck. Die Bänder standen immer wieder still. Dies hatte auch auf andere Produktionsstandorte Auswirkungen. Die Kolleginnen und Kollegen konnten so einen Großteil der vom Management geplanten Kürzungen sowie eine tariflose Billig-Batteriefabrik verhindern und den Einstieg in die Fertigung von Teilen des elektrischen Antriebsstrangs erreichen. Diese Aktionen stecken dem Vorstand wohl noch in den Knochen und sind sicher auch ein wichtiger Grund für Zugeständnisse in der jetzigen Vereinbarung. Außerdem muss Daimler in Zeiten des vielleicht größten Autokartellskandals der letzten Jahrzehnte (Verdacht Kartellabsprachen zwischen Daimler, VW, BMW, Audi) und des größten Abgasbetrugs bei Dieselfahrzeugen dringend sein Image aufpolieren und will sich keine weiteren Negativschlagzeilen leisten.