Die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst (Bund und Kommunen) sind gescheitert. Der Bund und „Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände“ (VKA) haben daraufhin ein Schlichtungsverfahren eingeleitet, das derzeit läuft. In den vergangenen Wochen hatten sich laut ver.di bundesweit 500.000 Kolleginnen und Kollegen an Warnstreiks beteiligt. Interview mit Sebastian Höhn, Sprecher der ver.di-Vertrauensleute am Uniklinikum Mannheim.
UZ: Die Verhandlungen im öffentlichen Dienst sind gescheitert. Woran?
Sebastian Höhn: Die Arbeitgeber haben im Verlauf der dritten Verhandlungsrunde im Grunde kein offizielles, schriftliches Angebot vorgelegt, so dass es aus Sicht der Bundestarifkommission (BTK) nur konsequent und absolut richtig war, die Verhandlungen für gescheitert zu erklären. Das Scheitern wurde nebenbei bemerkt einstimmig von der BTK beschlossen. Anhand der mündlichen Aussagen der Arbeitgeber, die während der Verhandlungen – aber vor allem aus der Presse – nach dem Scheitern zu vernehmen waren, sieht man, wie groß die Differenzen sind. Das wird vor allem deutlich beim Thema Mindestbetrag. Die Arbeitgeber bieten 300 Euro bei 24 Monaten, also 150 Euro pro Jahr. Das liegt deutlich unter unserer Forderung von 500 Euro für 12 Monate.
UZ: Du arbeitest im Uniklinikum Mannheim, das sich in kommunaler Trägerschaft befindet. Außerdem bist du Vertrauensleutesprecher und in der Streikleitung. Was sind die entscheidenden Punkte, die aus deiner Sicht und aus Sicht deiner Kolleginnen und Kollegen erfüllt sein müssen, damit ihr einem Tarifergebnis zustimmen könnt?
Sebastian Höhn: In den zahlreichen und lebhaften Diskussionen auf unseren Streikversammlungen wurde deutlich, dass sich viele Kolleginnen und Kollegen nicht mit einer – eventuell auch hohen – Einmalzahlung abspeisen lassen wollen. Gerade der Mindestbetrag, also die soziale Komponente, steht hier im Vordergrund. Die von Inflation und Teuerungsrate besonders stark belasteten unteren Entgeltgruppen profitieren anteilig mehr von einem hohen Mindestbetrag. Viele wollen hier keine großen Zugeständnisse bei der Höhe machen, 500 Euro bleibt die Zielstellung.
Was zudem bei den Kolleginnen und Kollegen wirklich zu Wut und Fassungslosigkeit geführt hat, ist die Forderung der Arbeitgeber nach einem „Sonderopfer“ der Krankenhausbeschäftigten. Hinter dem niedlichem Namen „Zukunftssicherungs-Tarifvertrag“ verbirgt sich nichts anderes als die Möglichkeit für die Arbeitgeber, Lohnkürzungen durchsetzen zu können. Nach zwei Jahren Pandemie und der damit verbundenen besonders starken Arbeitsbelastung in den Kliniken wirkt das wie ein Schlag ins Gesicht. Das ist das Gegenteil von Anerkennung und Respekt. Dieses „Sonderopfer“ muss auf jeden Fall weg, damit ein Ergebnis erzielt werden kann!
UZ: VKA und Bund behaupten, dass die Erfüllung eurer Forderungen nicht bezahlbar ist. Was sagst du dazu?
Sebastian Höhn: Klar, der Öffentlichkeit gegenüber sind die Arbeitgeber – und hier spricht ja auch die Innenministerin für den Bund – sehr darum bemüht zu zeigen, wie großzügig ihr vermeintliches Angebot sei und wie sehr sie sich auf ver.di zubewegt hätten. Die Intention ist, die ver.di-Forderungen als maßlos und volkswirtschaftlich unzumutbar darzustellen. Aber schauen wir uns das doch mal genauer an. Das Volumen unserer Forderungen liegt pro Jahr – je nach Rechenmethode – zwischen 15 und 20 Milliarden Euro. Das hört sich erst einmal nach viel an, ist aber zum Beispiel gegenüber dem Sondervermögen von 100 Milliarden für die Aufrüstung der Bundeswehr ein Klacks! Die großen Konzerne, nicht zuletzt die Energiekonzerne, haben Rekordgewinne erzielt in den letzten Jahren. Das Vermögen der reichsten 10 Prozent in Deutschland ist weiter enorm angewachsen. Wenn also die Herrschenden in diesem Land behaupten es sei kein Geld da, dann stimmt das einfach nicht.
UZ: Wie lief die Mobilisierung für die Warnstreiks bei euch im Uniklinikum?
Sebastian Höhn: Ich habe so einen Zuspruch zu unseren Forderungen von Seiten der Kolleginnen und Kollegen in den zurückliegenden Tarifrunden noch nicht erlebt. Das hatte einen stark mobilisierenden Effekt. Während der Mobilisierung zu den Warnstreiktagen wurde deutlich, dass wir eine sehr hohe Streikbereitschaft haben – vor allem auch in der Pflege.
Die Streikleitung stand vor dem Problem, mit der Arbeitgeberseite eine Notdienstvereinbarung zu schließen, die dem gerecht wird. Streiken im Krankenhaus ist ja immer eine besondere Angelegenheit, keiner möchte, dass Patientinnen und Patienten zu Schaden kommen, deshalb gibt es überhaupt Notdienstvereinbarungen. Während des Warnstreiks arbeitete in einigen Bereich mehr qualifiziertes Personal als es im Normalbetrieb der Fall wäre. Das ist natürlich irrsinnig und führte zu Frust, zeigt aber nochmal, dass es nicht der Streik ist, der die Patienten gefährdet, sondern der Normalbetrieb.
Nicht alle, die streiken wollten, konnten auch am Streik teilnehmen. Als Streikleitung mussten wir leider Kolleginnen und Kollegen aus dem Streik in den Notdienst schicken. Auch wurde von Arbeitgeberseite zum Teil erst sehr spät begonnen, Stationen zu räumen, die zur Schließung vorgesehen waren. Diese Erfahrungen werten wir als Streikleitung gemeinsam aus, damit wir, falls es zu Erzwingungsstreiks kommt, besser handeln können.
UZ: Aber trotz der Probleme würdest du von einem Erfolg sprechen?
Sebastian Höhn: Ja. Bei uns am Mannheimer Klinikum haben wir eigentlich jetzt schon einen kleinen Sieg errungen. Die Beteiligung an den Warnstreikaktionen war überwältigend. Dass während eines Warnstreiks ganze Stationen geschlossen werden mussten, gab es noch nie. In der Spitze waren acht Stationen zur Schließung angemeldet sowie weitere Stationen mit Teilschließungen. Dazu konnten wir durchsetzen, dass nur die Hälfte der OP-Säle befahren wurde.
Außerdem gibt es sehr viele neue Mitglieder, so dass unser Organisationsgrad deutlich angestiegen ist und wir als ver.di-Aktive unsere Aktionsfähigkeit im Betrieb deutlich erweitern konnten.
Bei den Streiks sind viele zum ersten Mal mit dabei und lernen gerade die eigene Stärke durch gemeinsames Handeln kennen. Diese kollektiven Kampferfahrungen sind extrem wichtig, um der gefühlten eigenen Ohnmacht endlich etwas entgegensetzen zu können. Das ist zumindest mein Eindruck aus den vielen Gesprächen der letzten Wochen.
UZ: Derzeit läuft die Schlichtung. Wie bewertest du dieses Verfahren und was erwartest du davon?
Sebastian Höhn: Ich persönlich bin äußerst skeptisch, ob in der Schlichtung wirklich was substanziell Neues von der Arbeitgeberseite kommt, über das es sich zu verhandeln lohnt. Vielleicht haben die bundesweiten Warnstreiks mit ihrer enormen Beteiligung Eindruck hinterlassen bei den Arbeitgebern, verlassen würde ich mich darauf aber nicht.
Wir sind jetzt zudem während der Schlichtung erst einmal wieder in der Friedenspflicht, das nimmt natürlich Schwung aus der Bewegung raus. In Mannheim habe wir uns vorgenommen, die nächsten Wochen der Schlichtung intensiv zu nutzen, um uns auf Erzwingungsstreiks vorzubereiten.
Nach der Schlichtungsphase wird über das Ergebnis erneut verhandelt. Gibt es eine Einigung, dann wird es eine Mitgliederbefragung in den Betrieben geben. Im Falle einer Ablehnung bereiten wir die Urabstimmung vor und könnten dann in den unbefristeten Erzwingungsstreik gehen.