UZ: Sie haben kürzlich kritisiert, dass sowohl die Bundespolizei als auch das Bundeskriminalamt deutlich mehr „Stille SMS“, IMSI-Catcher und Funkzellenabfragen einsetzen würden. Was hat es mit diesen Überwachungsmaßnahmen auf sich und wann werden diese eingesetzt?
Andrej Hunko: Die Technik wird im Rahmen des Paragrafen 100 der Strafprozessordnung eingesetzt, der regelt die Überwachung der Telekommunikation. Mit einer für den Empfänger unsichtbaren „Stillen SMS“ erzeugen die Behörden einen Kommunikationsvorgang mit Standortdaten, die dann bei den Telefonanbietern abgefragt werden. IMSI-Catcher werden eingesetzt, um in der Nähe befindliche Mobiltelefone zu orten, etwa wenn deren Nummer unbekannt ist. Anschließend können Anfragen zu deren Nutzern gestellt oder die Gespräche abgehört werden. Das erfolgt dann über eine Abhörschnittstelle bei den Telefonanbietern, technisch möglich ist aber auch, direkt mit dem IMSI-Catcher abzuhören. Das wird von deutschen Behörden aber angeblich nicht praktiziert. Mit einer Funkzellenauswertung ist es schließlich möglich, rückwirkend festzustellen, welche Mobiltelefone sich in der Umgebung von Tatorten eingebucht haben.
UZ: Wie oft wurden derlei Maßnahmen eingesetzt?
Andrej Hunko: Alle Maßnahmen bewegen sich in den letzten Jahren auf ähnlichem Niveau, wobei es in manchen Halbjahren „Ausreißer“, also unerklärlich hohe Zahlen gibt. IMSI-Catcher werden von der Bundespolizei, dem Bundeskriminalamt, dem Zoll und dem Verfassungsschutz genutzt, der Durchschnitt liegt bei rund 60 Einsätzen pro Behörde und Jahr. Die Zahlen zum Bundesamt für Verfassungsschutz sind allerdings seit 2014 eingestuft, es könnte also sein, dass diese mittlerweile weitaus höher sind. Funkzellenabfragen werden nur von Polizei und Zoll durchgeführt, ihr jährlicher Durchschnitt liegt bei etwa 100 Maßnahmen im Jahr. Vor drei Jahren gab es allerdings signifikant hohe Zahlen beim BKA, das für die Generalbundesanwaltschaft ganze 376 Abfragen in einem Halbjahr durchführte. Hintergrund waren Anschläge auf Signalanlagen der Deutschen Bahn, für die linksradikale Gruppen die Verantwortung übernahmen. Bei „Stillen SMS“ pendelt sich der Wert für die Bundespolizei und das BKA bei etwa 80.000 im Jahr ein, der Verfassungsschutz nutzt sie aber im doppelten Maße. Das zeigt, wie diese auch als „Ortungsimpuls“ bezeichnete Technik das Telefon zur Ortungswanze macht.
UZ: Kann man diesen Zahlen glauben, sind sie erschöpfend?
Andrej Hunko: In Deutschland ist Polizei auch Ländersache, deshalb müssen die dortigen Zahlen betrachtet werden. Und die sind außerordentlich hoch. Die Polizei in Schleswig-Holstein verschickt beispielsweise so viele „Stille SMS“ wie Bundespolizei und BKA zusammen. Anders ist dies bei den Inlandsgeheimdiensten, die „Stille SMS“ wird von den Landesämtern für Verfassungsschutz kaum genutzt. Daraus können wir schließen, dass sie in den Ländern hauptsächlich zur Strafverfolgung eingesetzt wird, beim Bund hingegen zur elektronischen Spitzelei.
UZ: Sind von sogenannten Funkzellenabfragen nicht auch Massen von Menschen betroffen, die sich nichts haben zuschulden kommen lassen?
Andrej Hunko: Das ist genau der Punkt, und insofern unterscheidet sich die Funkzellenabfrage von den „Stillen SMS“, mit denen einzelne Personen verfolgt werden. Es gab die große Anti-Nazi-Demonstration vor einigen Jahren in Dresden, wo das Landeskriminalamt eine antifaschistische Gruppe überwacht hat und ihnen mit Funkzellenabfragen Straftaten nachweisen wollte, dabei gerieten Hunderttausende ins Raster, vor allem Anwohner.
UZ: Wie gewährleisten die Behörden dann den Schutz der Daten unbescholtener Bürgerinnen und Bürger?
Andrej Hunko: In diesem Fall gar nicht. Nach der anschließenden Auswertung hat die sächsische Polizei zu 58.000 Personen die Bestandsdaten, das sind Namen und Adressen, bei den Telefonanbietern abgefragt und gespeichert. Nach einer Rasterfahndung in polizeilichen Dateien haben die Ermittler nach eigenen Aussagen 2.000 verdächtige Personen bzw. Telefone in diesen Datensätzen gefunden. Das ist natürlich völlig unglaubwürdig und zeigt, wie die Massenüberwachung mit Funkzellenabfragen ausufern kann.
UZ: Sie haben jüngst an das Urteil erinnert, das der Berliner Rechtsanwalt Lukas Theune vor zwei Jahren beim Bundesgerichtshof zur Einhegung von „Stillen SMS“ erstritten hat. Worum ging es da?
Andrej Hunko: Der Berliner Rechtsanwalt hatte den Bundesgerichtshof wegen eines Verfahrens angerufen, in dem ein kurdischer Genosse wegen seiner angeblichen Tätigkeit als „Gebietsleiter“ für die PKK in Berlin angeklagt war. Er soll Demonstrationen und Kulturfestivals organisiert haben, verfolgt wurde er aber nach den Anti-Terror-Paragrafen 129a und 129b des Strafgesetzbuches. Theune hatte argumentiert, die „Stillen SMS“ seien nicht von der Telekommunikationsüberwachung gedeckt, weil diese laut Gesetz passiv erfolgen muss. Der Staat darf demnach zwar abhören, aber nicht aktiv in die Kommunikation eingreifen. Nichts anderes ist aber eine „Stille SMS“, die ja von den Behörden versandt wird, dadurch wird die Überwachung also von ihnen selbst initiiert. Das fand auch der Bundesgerichtshof. Allerdings hat er die Maßnahme trotzdem als legal erklärt, wenn sie auf einen anderen Paragrafen gestützt wird, nämlich denselben, der auch IMSI-Catcher erlaubt.
UZ: Die Behörden halten sich daran?
Andrej Hunko: Soweit wir sehen können, ja, wobei die Strafprozessordnung für die Geheimdienste ja nicht gilt. Aus unseren halbjährlichen Abfragen ergab sich ein zeitweiliges Sinken der Einsätze von „Stillen SMS“ bei den Polizeien. Das könnte daran liegen, dass die neue Begründungspflicht für Durcheinander gesorgt hat, vielleicht mussten die Ermittler sich jetzt andere Textbausteine basteln. Die Maßnahme muss von einem Richter angeordnet werden, möglich ist deshalb, dass diese die Anforderungen eine Zeitlang genauer gelesen und vielleicht auch mal abgewiesen haben. Inzwischen ist der Einsatz von „Stillen SMS“ aber wieder auf altem Level.
UZ: Welche Möglichkeiten haben Sie als Parlamentarier, den Überwachungsbehörden einen Strich durch die Rechnung zu machen?
Andrej Hunko: Druck macht die Linksfraktion natürlich in den Ausschüssen, etwa wenn neue Gesetze die Überwachung noch verschärfen sollen. Unsere halbjährlichen Anfragen dokumentieren die Zahlen der Überwachungsmaßnahmen, wir können deren Einsatz also auf die Tagesordnung setzen. Was Geheimdienste angeht, ist die Kontrolle allerdings außerordentlich mager. Und jetzt hat sich das Bundesinnenministerium auch an uns gerächt. Seit 2018 stehen die Zahlen für „Stille SMS“ des Verfassungsschutzes nicht mehr in der Antwort, die Informationen sind mit der höchsten Geheimhaltungsstufe belegt. Die regelmäßig erfragten Informationen seien „besonders schutzbedürftig“, weil wir die „Einzelinformationen zu einem umfassenden Lagebild verdichten können“ und damit die „technischen Fähigkeiten“ des Geheimdienstes bekannt machen. Ja, genau darum geht es uns. Die Begründung bestätigt uns, mit den Anfragen wenigstens für Polizei und Zoll weiterzumachen.
Das Gespräch führte Markus Bernhardt