Mit einer Überraschung endeten die Wahlen im Irak. Sa‘iroun, das Wahlbündnis von Muqtada al-Sadr, gewann mit 54 Sitzen die Wahlen vor der Partei des einflussreichen Politikers Hadi al-Amiri (47 Sitze). Amiris Block ist selbst ein Bündnis aus 18 Parteien, viele gehörten früher zu schiitischen Milizen. Die Partei des Premierministers Haider al-Abadi erzielte nur 42 Sitze. Andere Bündnisse und Parteien endeten abgeschlagen. Bei mehr als 300 Parlamentariern braucht jede Regierungskoalition viele Koalitionspartner.
Muqtada al-Sadr bildete ein Bündnis aus schiitischen und sunnitischen Gruppen, aus Kommunisten und Vertretern der Baath-Partei und strebt die Bildung einer irakischen Identität an. Dies entspricht auch Vorstellungen, wie sie in der jungen Generation vertreten sind, die die sektiererischen Konflikte der Vergangenheit nicht weiter tragen will.
Al-Sadr hat eine bewegte Vergangenheit. Nach der Eroberung des Irak durch die US-Armee kehrte er aus dem iranischen Exil zurück und veröffentlichte in der für Schiiten religiös bedeutenden Stadt Najaf ein Programm zur Bildung einer irakischen Republik. Die USA und irakische Eliten hatten andere Vorstellungen. In der Folge beteiligten sich Anhänger von Sadr in der Mahdi-Armee am Kampf gegen die US-Besatzung. Dieser Kampf endete endgültig, als 2008 der damalige Ministerpräsident Maliki die irakische Armee mit Unterstützung der US-Luftwaffe in Basra und Sadr City einsetzte.
Al-Sadr löste die Mahdi-Armee auf. Erst als der IS große Teile des Irak eroberte erneuerte Sadr seine Aktivitäten im Irak. Im Mittelpunkt seiner Aktivitäten stand der Kampf gegen das zentrale Übel im Irak: die Korruption. Ab 2013 inszenierte er sich als Teil einer gemeinsamen sunnitisch-schiitischen Opposition gegen eine schiitisch-sunnitische Elite, der die Interessen der Bevölkerung gleichgültig ist.
2015 kam es wegen der Korruption zu Protesten gegen die Regierung und al-Sadr rief zur Unterstützung dieser Proteste auf. Im Februar 2016 organisierte die Sadr-Bewegung eine große Demonstration mit bis zu 100 000 Teilnehmern im Herzen von Bagdad. Ministerpräsident Abadi sollte gezwungen werden, versprochene Reformen durchzuführen. „Erhebt eure Stimme und ruft so laut, dass die Korruption eingeschüchtert wird“, rief er den Teilnehmern zu. Der Höhepunkt der Proteste war im April 2016 die Besetzung der streng gesicherten „Green Zone“, in der alle Regierungsgebäude, Parlament und Botschaften in Bagdad untergebracht sind. „Eine Bastion der Korruption“, wie Sadr die Green Zone nannte.
Das Bündnis von al-Sadr distanziert sich vom Einfluss des Iran ebenso wie von dem der USA. Doch im Mittelpunkt des aktuellen Wahlkampfs von Sa‘iroun stand der Kampf gegen die Korruption, Unterstützung für Arme und der Wiederaufbau der Infrastruktur, die im Krieg gegen den IS zerstört wurde.
Sa‘iroun ist mit 54 Abgeordneten stärkste Fraktion. Doch bei 329 Abgeordneten des irakischen Parlaments und dem festgelegten religiösen Proporz der Ämter ist jede Regierungsbildung schwierig. Der Abbau der Korruption ist noch schwieriger.