Am 10. März war es so weit: Mazlum Abdi, der Oberkommandierende der kurdischen Demokratischen Kräfte Syriens (SDF), und der Übergangspräsident Syriens, Ahmed al-Sharaa, unterzeichneten ein Dokument, das die künftige Rolle der Kurden in Syrien festlegt. Es soll einen Waffenstillstand, Bürgerrechte, Rückkehr der Vertriebenen und die Teilnahme am politischen Prozess garantieren. Alle zivilen und militärischen Institutionen im Nordosten Syriens sollen in den syrischen Staat integriert werden. Dazu gehören Grenzübergänge, Flughäfen und Öl- beziehungsweise Gasfelder. Autonomie, Selbstverwaltung oder „Rojava“ dagegen: Fehlanzeige.
Die Verhandlungen hatten sich über Monate hingezogen. Ein erstes Treffen zwischen Abadi und al-Sharaa gab es am 30. Dezember, einen ersten Hinweis auf eine Annäherung gab es am 18. Februar, als die SDF und die kurdische Verwaltung al-Sharaa zu seiner Ernennung zum Übergangspräsidenten gratulierten.
Die türkische Regierung hatte immer wieder mit einem gewaltsamen Eingreifen gedroht, würden die SDF nicht die Autorität der Regierung in Damaskus anerkennen. Doch ohne die Vermittlung der USA wäre die Annäherung nicht denkbar gewesen. Jahrelang war es den USA gelungen, die SDF von einer Übereinkunft mit Assad abzuhalten. Und nun war es in Monaten gelungen, sie zu einer Übereinkunft mit den Dschihadisten in Damaskus zu drängen, gerade zu einer Zeit, als die Massaker an den Alawiten in den Küstenstädten begonnen hatten.
Aber schließlich versprechen auch die SDF in der Übereinkunft, „den syrischen Staat in seinen Anstrengungen zu unterstützen, die Reste des Assad-Regimes und alle Bedrohungen für Sicherheit und Einheit zu bekämpfen“.
Das Abkommen wurde weithin als historisch begrüßt, selbst ein früherer politischer Leiter der sogenannten „Syrischen Nationalarmee“, die die SDF bekämpft hatte, sprach von einem historischen Ergebnis für die Einheit Syriens.
Auch türkische Medien hießen die Übereinkunft willkommen. Die SDF hätten dem türkischen Druck nachgegeben. Und die türkische Regierung begrüßt die Entwicklung, beobachtet aber das Geschehen genau. Eine hochrangige türkische Delegation flog eigens nach Damaskus, um das Abkommen und seine Folgen zu diskutieren. Mit dabei waren Außenminister Hakan Fidan, der türkische Verteidigungsminister und der Chef des Geheimdienstes. Fidan begrüßte, dass das Abkommen den Kurden keine Autonomie gibt.
Es ist ein Déjà-vu. Die Diskussionen über Autonomie und Eingliederung der SDF in die syrische Armee wurden jahrelang zwischen Kurden und der Regierung Assad geführt, jetzt zwischen den Kurden und der Regierung al-Sharaa. Nach dem Verzicht auf Autonomie bleibt die Frage offen, wie die bewaffneten Kräfte der SDF in die neu zu bildende syrische Armee eingegliedert werden. Sollen sie als geschlossene Einheiten – wie es die SDF wollen – oder individuell in bestehende Einheiten übernommen werden?
Die Übereinkunft ist vorerst nur eine Absichtserklärung. Die Einzelheiten sollen in Arbeitsgruppen im Laufe des Jahres ausgearbeitet werden. Und schon ist der erste Überschwang der Begeisterung verflogen. Kämpfe um den Tischrin-Damm halten an, die türkische Luftwaffe fliegt Angriffe und vor allem: Die 56 Artikel der vorläufigen Verfassung, die al-Sharaa unterzeichnet hat, stoßen auf heftigen Widerstand. Der „Demokratische Rat Syriens“, die politische Dachorganisation der kurdischen Verwaltung und der SDF, und andere kurdische Organisationen lehnen diese Übergangsverfassung „vollständig“ ab. Sie würde eine autoritäre Verfassung in neuer Gestalt wieder einführen und eine zentralisierte Herrschaft festigen.