Kai Eicker-Wolf, Patrick Schreiner: Mit Tempo in die Privatisierung, Köln 2017, 194 S., 14,90 Euro
Lunapark 21 Extra Nr. 16/17: ÖPP, Berlin 2018
Erst 2017, also relativ kurz vor der Bundestagswahl, hat die damals regierende Große Koalition jene Grundgesetzänderung durchgezogen, die die Grundlage für eine neue Privatisierungswelle darstellt. Das Neue daran war auch, dass die Betreiber ihre Absichten zu verbergen versuchten. Vom Herbst 2016 bis zum Frühjahr 2017 waren die offiziellen Medien, die Mainstream-Presse voll mit Nachrichten vom Typ: „Gabriel stoppt Autobahn-Privatisierung“ („Süddeutsche“, 21.11.2016) oder „Überlegungen innerhalb der Bundesregierung für eine Teilprivatisierung der geplanten Betreibergesellschaft für Autobahnen sind vom Tisch“ („Tagesschau“, 24.11.2016). Die Zitate haben Kai Eicker-Wolf und Patrick Schreiner gesammelt. Sie führen sie an in ihrem Buch „Mit Vollgas in die Privatisierung“, um zu belegen, wie trickreich die regierenden Politiker vorgingen, um zu verbergen, was sie vorhatten. Nichts war vom Tisch. Sigmar Gabriel, damals noch Wirtschaftsminister, Vizekanzler und Vorsitzender der SPD, hatte die neue Privatisierungswelle wesentlich mit eingeleitet und viel dazu beigetragen, seine Partei und ihre Funktionsträger zum strammen Mitmachen zu bewegen. Erst im Juni 2017 wurde die Änderung des Grundgesetzes mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit von Bundestag und Bundesrat beschlossen.
UZ-Leser werden in dem genannten Buch nichts grundsätzlich Neues erfahren. Aber sie erhalten hier eine Bestandsaufnahme darüber, wie diese Beschlüsse zustande kamen. Es wird deutlich, wie schwer es ist, sich gegen die Privatisierungspolitik zu wehren. Wer das tut, muss nicht nur die Öffentlichkeit überzeugen, dass die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen, für die Bürger schädlich sowie für die Staats- oder Gemeindefinanzen teuer ist, er muss auch glaubwürdig darlegen können, dass Privatisierungen überhaupt geplant sind und stattfinden. Der Blog des „Handelsblatt“-Redakteurs Norbert Häring (norberthaering.de) und der des Buchautors Schreiner (annotazioni.de) spielten dabei eine sehr positive Rolle, vor allem aber die Bürgerinitiative „Gemeingut in BürgerInnenhand“ (GiB). Verwiesen sei auch auf Werner Rügemer, der nun seit einigen Jahrzehnten einen effektiven Aufklärungskampf gegen die Privatisierungspest führt. Sein Buch „Privatisierung in Deutschland, Eine Bilanz“ (Münster, 2. Auflage 2006) sei hier denjenigen empfohlen, die sich für die Privatisierung als entscheidender Bestandteil der internationalen Gegenreform (oder besser Konterrevolution) interessieren.
So weit holen Eicker-Wolf und Schreiner nicht aus. Vielmehr enthält ihr Buch vor allem wertvolle Details über das Vorgehen der Privatisierer, die Interessen der Finanzunternehmen, Banken und Versicherungen an einer höheren Rendite, die Methode der Geheimhaltung der Verträge usw. Wer sich gegen die Privatisierung einer Schule oder eines Krankenhauses wehren muss, findet nützliche Hinweise.
Besonders erfreulich ist es, dass die Autoren die fatale Grundsatzentscheidung der „Schuldenbremse“ hervorheben. Auch das war 2009 eine Änderung des Grundgesetzes. Sie gab vor, die Staatsfinanzen dauerhaft schonen zu wollen. Sie bewirkt in der Praxis das Gegenteil. Denn sie nimmt den Parlamenten die Möglichkeit, ökonomisch sinnvolle Investitionen oder überhaupt Entscheidungen zu treffen. Die Finanzverpflichtungen, die öffentliche Körperschaften eingehen, wenn sie öffentliche Leistungen Privaten zum Teil oder ganz übertragen, werden nicht als Schuldenzuwachs verbucht. Aber es sind Zahlungsverpflichtungen in der Zukunft, die in der Regel höher sind als eine einfache Erhöhung der öffentlichen Schulden.
Dem Thema Privatisierung ist auch eine gerade erschienenes Extraheft der Zeitschrift „Lunapark 21“ gewidmet. Schreiner, Eicker-Wolf und das Vorstandsmitglied der GiB Carl Waßmuth finden sich hier unter den prominenten Autoren. Waßmuth, Katrin Kusche und der Chefredakteur von „Lunapark“ und gelegentliche Autor in der UZ Winfried Wolf haben das Sonderheft zusammengestellt. Es ist bunt und vielfältig geworden. Leider, muss man sagen. Denn die Privatisierer greifen nach allem, was noch nicht privatem Renditestreben unterworfen ist. Allerdings findet sich im Heft auch ein Missgriff: Daniela Dahn schreibt unter der Überschrift „Warum Staat und Eigentum getrennt werden müssen“ über Begriffliches und geht mit den Begriffen kühn um. Sie stellt „staatliches Eigentum“ dem „Gemeineigentum“ entgegen, in das laut Grundgesetz, Artikel 15, Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel überführt werden können. Dass Staaten das Gemeineigentum privatisieren, ist laut Dahn Grund genug, Staatseigentum dem Eigentum Privater gleichzusetzen. Sie beklagt, dass der „Souverän“ beim Staatseigentum nicht die Kontrolle ausübt oder ausüben kann. Sie sollte beklagen, dass der Souverän (auch Volk genannt) die Macht im Staat eben nicht ausübt. Die Frage, welche Rolle Staatseigentum oder öffentliches Eigentum im Kapitalismus spielt oder spielen sollte, ist einiger ernsthafter Gedanken wert.