Ich habe ein Dokument auf meinem Rechner, in dem ich alle wichtigen Absprachen protokolliere. Jeder Bereich hat eine andere Schriftfarbe, besondere Anmerkungen hebe ich kursiv oder fett hervor. Von außen mag das chaotisch aussehen – für mich ist es die einzige Möglichkeit den Überblick zu behalten. Ich habe darüber nachgedacht eine neue Schriftart einzuführen, schließlich gibt es immer noch allerhand abzuklären, allerhand, woran gedacht werden muss und noch ein paar offene Optionen. Aber immerhin: Der Rahmen des Kulturprogramms auf dem Festival der Jugend steht und ich bereue es bis heute nicht, die Verantwortung dafür übernommen zu haben. Er steht so stabil und breit aufgestellt wie noch auf keinem Festival der Jugend seit 2008: Drei Filmvorführungen mit Diskussion, zwei Abende Party, ein Arbeiterliederabend, eine täglich geöffnete Werkstatt, Sportprogramm, Kinderbetreuung, Teamspiele. Zusätzlich 14 Worskhops, von Improtheater über Rap- und DJ-Workshop zu politischer Fotografie, Geocaching oder Demotraining. Außerdem am Freitagabend Konzerte von Bands aus Köln und Umgebung und Samstag unser mit der „Melodie&Rhythmus“ veranstaltetes Konzert „resisDANCE against facism“. Wir haben uns ganz schön gefreut, für diese Abende Zusagen von Künstlern wie MC Smook und Orhan Bey aus Düsseldorf zu bekommen oder auch Los Fastidios und Disarstar begrüßen zu dürfen. Doch auch tagsüber soll es musikalische und kulturelle Unterhaltung geben. Eine offene Bühne, die an den großen Essensbereich angegliedert ist, bietet Platz für Künstlerinnen und Künstler, deren Kunst mehr Wert auf aufmerksame Zuhörer als auf dicke Soundanlagen legt. Würde man wollen, könnte man sich das ganze Wochenende auf dem Festival beschäftigen, ohne sich einer einzigen politischen Auseinandersetzung hinzugeben und trotzdem die ganze Zeit beschäftigt zu sein. Politikfreie Zone. Oder?
Eher nicht so. Auch, wenn es einem vielleicht nicht auf den ersten Blick ins Auge springt, was ein Tanzworkshop mit Politik zu tun hat: Er ist es durchaus! Jugendliche bekommen immer weniger die Möglichkeit, an Kultur im Freizeitbereich teilzuhaben, Jugendzentren schließen, es gibt keinen Raum mehr für Selbstorganisiertes oder künstlerische Neugierde. Erst recht nicht, ohne dafür Kohle zahlen zu müssen. Wie alles andere auch, ist der Kulturbereich im Kapitalismus profitorientiert. Da ist nicht relevant, ob es in einem Stadtteil genug Jugendliche gäbe, um gleich zwei Theatertruppen auf die Beine zu stellen oder vier verschiedene Tänze einzustudieren: so etwas wirft keinen Gewinn ab. Zumindest für die Kapitalseite nicht. Für uns eigentlich schon. Denn wer hat nicht diese Erinnerungen: Als ich damals das erste Mal ein Mischpult bedient habe, das erste Mal ein Instrument gespielt, diese Musik gehört oder diese Kamera in der Hand hatte. Wenige Dinge tragen so sehr zur Meinungsbildung und Auseinandersetzung mit Gesellschaft bei wie eigene Erfahrungen in und mit kulturellen Angeboten. Oder eben ihrem Mangel. Denn anscheinend – das hat der Kapitalismus mittlerweile bei vielen Jugendlichen schon geschafft als Eindruck zu manifestieren – müssen Freizeit und Kultur ja bezahlt werden. Wie alles auf dieser Welt. So läuft das eben. Und wenn man es nicht kann, gehört man nicht dazu. Hat man Pech gehabt. Oder Schulden. Das zeigt ganz klar: Kulturelle Angebote, ihre Teilhabe daran, aber auch die Schaffung dieser führen zu einer Haltung zur Gesellschaft. Wenn es also die Möglichkeit gibt, mal wieder selber etwas machen, oder auf die Beine stellen zu können, habe ich vielleicht auch Lust, in anderen Bereichen etwas zu bewegen. Und wenn der selbstgezimmerte Stuhl, die ersten selber gebauten Beats oder die Diskussion um Klassencharakter des HipHop bei dem ein oder anderen ihren Teil dazu beitragen, hat sich der ganze Wust an Farben und Schriftarten in meinem Absprachenprotokoll mehr als gelohnt.