Schäuble gelingt es, Kosten der Griechenland-„Rettung“ bis nach der Bundestagswahl zu verbergen

Triumphale Konkursverschleppung

Von Klaus Wagener

ARD-Kommentator Ralph Sina kürt Wolfgang Schäuble gleich zum „heimlichen IWF-Chef“. Ein „Triumph“ für den Finanzminister sei das. Er habe „in dieser Griechenland-Nacht der Eurogruppe in Brüssel alles bekommen, was er seit Monaten wollte“. Der Internationale Währungsfonds (IWF) sei „ins Rettungsboot zurück“ gekehrt, aber die vom IWF geforderte Schuldenerleichterung sei „gleichzeitig in weite Ferne gerückt“. Ein toller „Triumph“, das muss man schon sagen.

Nun sollen also 10,3 Milliarden Euro via Athen in Richtung Frankfurt, London, New York etc. fließen. Wieder einmal. Daher kurz noch mal von vorne. Spätestens seit der damalige Ministerpräsident Georgios Papandreou 2010 auf der schönen Insel Kastelorizo vor die Kameras trat, ist Griechenland pleite. Möglicherweise hat er tatsächlich geglaubt, Euroland sei die Schicksalsgemeinschaft, von der die Kanzlerin seinerzeit nicht müde wurde zu schwärmen. Die griechische Wette war, wie viele andere auch, 2007 geplatzt. Für das geplatzte Griechenland-Investment musste eine Lösung her, die die Griechen an den Haken brachte. Seither wird vorwiegend mit dem Geld der europäischen Bürger Konkursverschleppung im großen Stil betrieben.

Das Ziel von Konkursverschleppung heißt nicht Sanierung. Jedenfalls nicht die des Pleitegegangenen. Ziel ist die Verteilung der noch vorhandenen Bilanzwerte nach dem Aasgeierprinzip. Durch die Konkursverschleppung hat die griechische Pleite biblische Ausmaße angenommen. Der fällige Kapitaldienst wird durch immer neue Kredite, sprich Schulden bedient. Schulden werden auf Schulden getürmt. Falls es einen Superlativ von aussichtslos gäbe, so wäre die Lage des Landes genau das.

So absurd es klingt, in der Logik der deutsch/europäischen Vordenker ergibt diese Strategie durchaus Sinn:

1. Umschichtung der Gläubigerstruktur von privat nach öffentlich. Waren die Gläubiger Griechenlands 2010 noch zu 100 Prozent Private, so sind es heute weniger als 20 Prozent.

2. Festigung der deutschen Dominanzposition in der EU mit Hilfe der Finanzmärkte.

3. Ausverkauf des griechischen Staatsvermögens.

4. Erhöhung des „Reform“-Drucks auf Griechenland und die Eurozone insgesamt. Für ein Leben am physischen Existenzminimum und darunter.

5. Umbau der Eurozone zu einem europäischen Exportweltmeister nach deutschem Vorbild.

Dieser Crash-Kurs, der vor allem den deutschen Finanzminister in die Rolle des Zuchtmeisters Europas gebracht hat, ist allerdings unter einer längerfristigen, gesamteuropäischen Perspektive nicht gerade von Erfolg gekrönt. Selbst wenn man Erfolg in Hinblick auf die propagierte Zielstellung betrachtet. Zwar hat sich das Handelsbilanzplus der Eurozone mit der Welt im letzten Jahr (März 2016 bis März 2015) von 19,9 Mrd. auf 28,6 Mrd. Euro erhöht, aber nur dadurch, dass die Importe (minus 8 Prozent auf 149,2 Mrd. Euro) noch schneller gefallen sind als die Exporte (minus 3 Prozent auf 177,8 Mrd. Euro). Die „verbesserte“ Handelsbilanz ist in Wahrheit ein massiver Importeinbruch.

Ähnliches gilt für die Verschuldung der öffentlichen Kassen. Die Staatsverschuldung in der Eurozone beträgt 9,44 Billionen Euro (entsprechen 90,7 Prozent bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt(BIP). Der Süden leidet besonders unter dem Austeritätsdiktat. Die italienische Staatsverschuldung macht 132,7 Prozent, die Portugals 129 Prozent am BIP aus. Die Schulden werden nicht weniger, sondern mehr.

Trotz der erheblichen Arbeitsmigration, Flucht vor der Arbeits- und Perspektivlosigkeit, liegt die offiziell gemessene Arbeitslosenquote in der Eurozone im mittlerweile neunten Krisenjahr weiter bei durchschnittlich über 10 Prozent, in Spanien bei über 20 Prozent und in Griechenland bei 24,4 Prozent.

Der breit gefasste Industrieproduktionsindex der Eurozone liegt immer noch um 10 Prozent unter dem Vorkrisenniveau von 2008. In Griechenland beträgt dieser Einbruch 31 Prozent und das Ende der Talfahrt ist, dank der von außen vorgeschriebenen Austeritätspolitik, noch längst nicht in Sicht.

Der „Triumph“ des deutschen Finanzministers wird diese Lage nicht bessern. Das ist auch nicht seine Absicht. Natürlich weiß Wolfgang Schäuble auch, dass über 90 Prozent des „Rettungs“-geldes umgehend zu den Gläubigern zurückfließen. Und es ist den Konkursverschleppern auch völlig klar, dass Griechenland diese Schulden niemals zurückzahlen kann. Ob Schuldenschnitt oder nicht, das Geld ist ohnehin weg, d. h. bei den Banken. Das Problem ist nun, dass der IWF den an ihm beteiligten Staaten und Regierungen verantwortlich ist. Und denen kann Frau Lagarde nicht so einfach ein X für ein U vormachen, wie es Frau Merkel und Herr Gabriel bei ihren Bundestagsfraktionen können. Daher ist der IWF eher unwillig, wenn es darum geht, sich an diesem Konkursbetrug zu Lasten Dritter weiter zu beteiligen.

Schäubles „Triumph“ besteht darin, diesen Konflikt mit dem IWF mit einem Formelkompromiss bis 2018 – also nach der Bundestagswahl 2017 – vertagt zu haben. Die Griechen selbst spielen dabei ohnehin keine Rolle. Schäuble deutet Beweglichkeit in Richtung Schuldenschnitt an, der IWF macht dafür Hoffnung, an Bord bleiben zu wollen. Beides sind Hoffnungswerte. Kernziel. Den arbeitenden Menschen, die letztlich für alles werden aufkommen müssen, soll erklärtermaßen bis zur Wahl das schwäbische Hausfrauen-X für das Troika-Pleite-U vorgemacht werden. So offen war Wählerbetrug selten.

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"Triumphale Konkursverschleppung", UZ vom 3. Juni 2016



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