Tunesien vor der Rückkehr kriegserfahrener Dschihadisten

Treffpunkt Moschee

Beim Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt kurz vor Weihnachten wurden zwölf Menschen getötet. Der Attentäter Anis Amri und mögliche Unterstützer kamen aus Tunesien. Sie sind nur einige von Tausenden Tunesiern, die in den Reihen von IS und al-Nusra in Syrien, dem Irak, Libyen und anderen Ländern kämpfen. Verschiedene Schätzungen zählen zwischen 5 000 und 10000 tunesische Kämpfer im Ausland. Weitere Tausende wurden von tunesischen Sicherheitskräften zumindest vorübergehend daran gehindert, das Land zu verlassen.

Ausgerechnet Tunesien ist damit eine Quelle für den Dschihad – dabei schien doch gerade Tunesien der Staat zu sein, in dem der „Arabische Frühling“ positive Spuren hinterließ.

23 Jahre lang hatte Ben Ali Tunesien regiert – unterstützt von den USA und Europa und immer in deren Interesse (und in seinem eigenen) handelnd. Nach dem Beginn der Proteste 2010 orientierten die USA ihre Politik neu, hin zur Unterstützung des politischen Islam der Moslembrüder und gegen die säkularen Diktatoren, die bis dahin ihre Politik betrieben hatten. Die damalige US-Außenministerin Hillary Clinton senkte den Daumen über Ben Ali – danach dauerte es keine 24 Stunden, bis er das Land verlassen musste. Tunesien wurde von Hunderten US-amerikanischen Beratern geflutet, die die Entwicklungen im US-Interesse prägen sollten.

Zu den treibenden Kräften beim Sturz von Ben Ali gehörten auch Vertreter der Eliten. Lange bevor die Auseinandersetzungen entschieden waren, positionierte sich z. B. die tunesische Anwaltskammer ganz klar gegen Ben Ali.

Anfang 2011 sprachen junge Tunesier im Ausland ebenso wie erfahrene Gewerkschafter voller Begeisterung über den Sturz von Ben Ali und den Kampf gegen die Korruption. Transparente Wahlen und der Aufbau politischer Parteien ließen Tunesien in einem positiven Licht erscheinen.

Doch obwohl erfolgreiche junge und moderne Unternehmen entstanden, änderte sich real wenig. 2016 lag die Arbeitslosenrate bei 15 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit lag bei über 30 Prozent. In ländlichen Gebieten sind Arbeitsplätze extrem selten und Hochschulabgänger müssen im Durchschnitt sechs Jahre lang suchen, bis sie eine dauerhafte Stelle finden. Nach Untersuchungen der Weltbank ist die Hälfte aller Hochschulabgänger mit 35 Jahren noch immer ohne Job.

Spiegelbildlich zur sozialen Spaltung gibt es eine tiefe Spaltung zwischen säkularen Schichten und den Dschihadisten mit ihren Anhängern in Teilen der tunesischen Gesellschaft.

Tunesische Extremisten, die unter Ben Ali lange Zeit in Gefängnissen saßen, und ausländische Anwerber, die nach der Zerstörung Libyens ungehindert nach Tunesien einreisen konnten, nutzten die Situation für ihre Propaganda. Eine große Zahl von salafistischen Predigern sind in Tunesien aktiv. In einer Gesellschaft, in der es vor allem in ländlichen Gebieten keine Treffpunkte außer Moscheen gibt, haben sie den passenden Nährboden für ihre Propaganda.

Dazu kommen Kopfgelder bis zu 10000 Dollar für die Anwerber und wirtschaftliche Unterstützung für die Familien von dschihadistischen Kämpfern. Sie kämpfen nicht nur in Libyen, dem Irak und Syrien. Eine Reihe von Angriffen und Anschlägen gegen militärische und zivile Ziele galt auch Tunesien.

Widerstand gibt es gegen die Rückkehr potentieller Terroristen aus Europa und kriegserfahrener tunesischer Söldner aus Syrien und anderen Ländern. 1500 Demonstranten protestierten Ende Dezember vor dem Parlament gegen entsprechende Pläne. Sie wollen nicht, dass die Dschihadisten, die von NATO und Golfstaaten bewaffnet und gefördert wurden, ihr Unwesen in Tunesien treiben. Selbst die tunesische Gewerkschaft der Inlandsgeheimdienste warnte vor der Rückkehr der Dschihadisten.

Der Widerstand gegen ihre Rückkehr soll unterbunden werden. Nach dem Anschlag in Berlin will die Bundesregierung Rücknahmeabkommen mit mehreren Ländern, darunter Tunesien, abschließen oder bestehende neu verhandeln. Wer nicht ausreichend kooperiert, sagt der Vorsitzende der SPD, kann nicht auf deutsche Entwicklungshilfe rechnen.

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"Treffpunkt Moschee", UZ vom 13. Januar 2017



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