Wo das Einkommen kaum für Essen und warme Kleidung reicht, bleibt der Teddy im Regal

Traurige Weihnachten

Wie niedrig inzwischen die Erwartungen hinsichtlich der Kaufkraft der Masse der Bevölkerung sind, machte eine Umfrage nach dem dritten Adventssamstag klar: Fast 60 Prozent der dort befragten rund 400 Händler zeigten sich „zufrieden“ mit dem Umsatz. Getragen wurde diese Zufriedenheit vor allem durch den Lebensmittelhandel, aber auch – bei immerhin noch 40 Prozent positiver Rückmeldung – vom Bekleidungshandel. „Dabei dürften auch“, resümiert der Handelsverband Deutschland (HDE) in seiner Stellungnahme „die niedrigen Temperaturen eine Rolle spielen.“ Nicht nur draußen, sondern dank Wirtschaftskrieg auch in den Wohnungen.

Die vom HDE abgefragte Zufriedenheit ist subjektiv. Die objektiven Zahlen, die der HDE zeitgleich veröffentlichte, bilden einen bemerkenswerten Kontrast zur Stimmung. Der Gesamtumsatz betrug demnach im Einzelhandel in den Monaten November und Dezember bis jetzt 120 Milliarden Euro – preisbereinigt ein Minus von vier Prozent gegenüber dem Vorjahr. Und das, obwohl das Geschäft in den Innenstädten 2021 wegen der Corona-Maßnahmen und dem Fehlen der kaufluststeigernden Weihnachtsmärkte als existenzgefährdend beschrieben wurde. Damals gab es eine Umschichtung zum Onlinehandel. Aber auch der meldet verglichen zum Vorjahreszeitraum preisbereinigt ein Minus – sogar um 4,5 Prozent. In den Stimmungsberichten ist die Ernüchterung, die sich hierzulande breit macht, im wahrsten Sinne des Wortes schon eingepreist.

„Autos kaufen keine Autos“ wird der US-Industrielle Henry Ford aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts gerne zitiert. Er begründete damit die im Vergleich zu anderen Industriebetrieben hohen Löhne bei Ford, mit denen er zehntausende Proletarier an seine Fließbänder lockte. Diese wenigstens partielle Einsicht in die Grundmechanismen kapitalistischer Wirtschaft ist heute weitgehend aus Wissenschaft und Politik verschwunden. Die jüngsten Lohnrunden endeten durchweg mit Reallohnverlusten. Es wundert daher nicht, dass der reale Umsatz bei Autos und in diesem Winter selbst bei Teddybären rückläufig ist – Teddys kaufen eben keine Teddys.

Die oben genannte Zahl der Umsätze des Einzelhandels erhellt einen weiteren Aspekt der Entwicklungen, die sich hierzulande vollziehen: 120 Milliarden Umsatz in nur zwei Monaten und nur im Einzelhandel machen die Volumen deutlich, die nötig sind, um den kapitalistischen Verwertungsmotor am Laufen zu halten. Die „Bazooka“- und „Wumms“-Programme der Bundesregierung können den massiven Rückgang der Kaufkraft der abhängig Beschäftigten nicht ausgleichen. Sie bewegen sich allesamt als Jahres- oder gar Mehrjahresprogramme in der Größenordnung eines einzigen Monatsumsatzes. Damit können sie den Abwärtstrend allenfalls dämpfen, keinesfalls umkehren.

Die Logik der kapitalistischen Produktionsweise besteht in knappen Worten eben darin, dass der einzelne Kapitalist durch die Peitsche der Konkurrenz einerseits gezwungen ist, seinen Arbeitskräften so wenig Lohn wie möglich zu zahlen und möglichst durch Maschinen zu ersetzen. Andererseits treibt er damit die einzige Quelle seines Profits, die Ware Arbeitskraft, aus dem Produktionsprozess heraus und schmälert gleichzeitig die Einnahmen anderer Kapitalisten, die davon leben, dass die von ihm entlohnten Arbeiter bei ihnen Waren – Autos oder Teddybären – einkaufen. In der Traumwelt der Unternehmer verzichten die eigenen Arbeiterinnen und Arbeiter auf Lohn, die anderer Unternehmer aber werden üppig bezahlt und tragen ihr Geld in fremde Kassen. Aber es ist eben eine Traumwelt, die nur im „goldenen Zeitalter“ des Kapitalismus zwischen den 1950er und 1970er Jahren kurz aufblühte.

Nun also kehren die Nüchternheit und die Kälte des Kapitalismus zurück – und führen zu einer Art resignativer Zufriedenheit im schrumpfenden Einzelhandel.

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"Traurige Weihnachten", UZ vom 16. Dezember 2022



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